US Chironico – AS Pollegio 6:0
5. Liga, Samstag 31. Mai 2014, 18.30 Uhr, Chironico, Campo Pignürit, 13 Zuschauer
Fussball in den untersten Ligen kann genauso gut sein wie in den obersten. Natürlich ist mit „gut“ nicht primär der sportliche Aspekt gemeint. Fussballspiele in den Niederungen des Regionalfussballs sind oft geprägt von Zufall, Glück und Unvermögen. Gemeint ist vielmehr der Fussball als Erlebnis. Dafür brauchts nicht zwingend überteuertes Stadioncatering, lärmige Musik und guten Fussball. Es reicht, wenn man diesen Sport liebt und sich gerne auch auf vermeintlich nebensächliche Dinge konzentriert. Ich hatte das bereits einmal hier ausgeführt.
Kürzlich hatte ich endlich wieder einmal das Glück, dass bei einem meiner Tessin-Aufenthalte tatsächlich auch Fussball gespielt wurde. Die letzte Runde in den regionalen Ligen stand an. Ohne übermässigen Aufwand war dann aber leider doch nur ein Spiel machbar: Die 5.Liga-Begegnung der US Chironico gegen die AS Pollegio. Die US Chironico hatte schon vor dem Spiel keine Aufstiegschancen mehr, die Saison konnte man aber immerhin im gesicherten Mittelfeld beenden. Dass die AS Pollegio nicht in akuter Abstiegsgefahr war, ist lediglich der Tatsache zu verdanken, dass sie bereits in der untersten Liga mitspielen.
Es war also klar, dass es hier nur noch um die goldene Ananas gehen würde. Für die US Chironico war diese offenbar bedeutend mehr Wert. Als wir nach einer halbstündigen Bergfahrt mit weniger als zehn Minuten Verspätung eintrafen, informierte uns der als Linienrichter fungierende Trainer der Heimmannschaft, dass es bereits 2:0 stehe. Diese ersten zwei Tore hatten zehn Zuschauer live mitangesehen. Dank uns wuchs die Zuschauerzahl nun um rund 33%! Vor den nunmehr 13 Zuschauern folgten noch vor der Halbzeit die Tore drei bis fünf. Damit hatte die Heimmannschaft dann aber auch schon fast genug und beliess es in Halbzweit zwei bei einem weiteren Tor.
Was nimmt man nun mit von so einem Spiel? Es sind Beobachtungen, für die man normalerweise vielleicht gar keine Zeit hat. Normalerweise erfreut man sich ja vor allem an gelungenen Aktionen, erst recht, wenn diese zu Toren führen. Hier gibt’s aber kaum gelungene Aktionen und die Tore geschehen eher zufällig. Dafür hat man Zeit, die Spielertypen genauer anzuschauen. Einige Beispiele, die einem im Regionalfussball immer mal wieder begegnen:
Da ist zum einen der Star der Mannschaft, zumindest sieht er sich als solchen. Er steht zumeist in der Offensive tatenlos rum und wartet, bis er mustergültig bedient wird. Wenn er dann tatsächlich ein Tor schiesst, lässt er sich entsprechend feiern oder macht, wenn er das gerade vor kurzem im Fernsehen gesehen hat, auf Understatement. Bei einer Variante davon legt er den Finger an die Lippen, um dem nicht vorhandenen Publikum mitzuteilen, es hätte doch bitte seine Reklamationen einzustellen.
Es gibt aber auch den tatsächlichen Spielmacher, der unaufgeregt das Spiel zu lenken versucht. Zumindest, soweit es das Niveau zulässt. Meist ist er derjenige, der am leichtesten über den Platz rennt, ja fast schon schwebt. Er zeichnet sich im Gegensatz zu einem Grossteil seiner Mitspieler auch durch eine durchaus intakte körperliche Fitness aus. Seine Pässe sind meist gut, was seine Mitspieler – unter anderem der Star – daraus machen meist weniger.
Die zentrale Achse wird komplettiert durch den Innenverteidiger alter Schule. An ihm ist die Entwicklung der letzten Jahre komplett vorbeigegangen. Am liebsten wäre er nach wie vor Libero. Im Aufräumen ist er einsame Spitze, was er auch seiner ausgefeilten Grätsch-Technik verdankt. Die Angriffsauslösung hingegen gehört nicht zum Repertoire.
Beinahe in jeder Mannschaft auf diesem Niveau zu finden ist das Anti-Talent. Er spielt enorm gerne Fussball, kann es aber überhaupt nicht. Dessen ist er sich sehr wohl bewusst, was ihn umso sympathischer macht. Die offensichtlichen Mängel macht er mit Einsatz wett, weshalb er gern auf dem Flügel eingesetzt wird. Diesen rennt er dann hoch und runter, ohne einen Ball zu sehen. Ein positiver Nebenaspekt: Geht der Ball ins Seitenaus, womöglich noch in einen Bach oder einen Abhang hinunter, holt ihn keiner so schnell zurück wie das Anti-Talent.
Nicht zu vergessen: Der Torhüter. In der 5. Liga steht oft nicht derjenige im Tor, der das will oder gut kann. Oft steht der Spieler im Tor, der am wenigsten laufen will. Das fehlende Können zeigt sich dann natürlich auch: Statt mit den Händen wird der Ball mit den Füssen abgewehrt. Manchmal steht aber auch der im Tor – und ich darf das sagen, ich war jahrelang Torhüter – der irgendwie „än Ecke ab“ hat.
Eigentlich kein Spieler, aber trotzdem eine Erwähnung verdient hat schlussendlich der Schiedsrichter. Die Vereine suchen, wie uns in den Medien immer mal wieder erläutert wird, teilweise händeringend nach Schiedsrichtern. Die Kriterien sind dementsprechend tief. Das resultiert in einem Aktionsradius, der in etwa den Mittelkreis abdeckt. Wegen der fehlenden Agilität wird er gerne auch mal angeschossen, was ihn schon fast zum Spieler macht. Oft beobachtbar: Eine Regel – vermutlich die zuletzt erlernte oder gerade anlässlich eines Spiels diskutierte – wird pingelig genau ausgelegt. Das führt mitunter auch mal dazu, dass selbst bei einem Freistoss an der eigenen Strafraumgrenze der Abstand gemessen wird, obwohl niemand danach gefragt hat und sowieso keine Mauer in der Nähe steht.
Zum Schluss bleibt festzuhalten: Das ist natürlich überzeichnet. Ich hab in den unzähligen Spielen des Regionalfussballs auch schon überaus passable Sportler gesehen. Und auch wenn mal keiner der 22 Männer auf dem Feld irgendwas zustande bringt, Spass machts trotzdem und Fussball bleibt König!
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