Eine Weltmeisterschaft macht fast jeden zum Fussballfan, meist auch gleich zum Fussballexperten. Das führt mitunter zu kaum ertragbaren Situationen für alle diejenigen, die sich das ganze Jahr für Fussball interessieren.
Ich gebs ja zu, so ganz objektiv bin ich nicht. Die WM finde ich zwar nett, weil immer Fussball läuft, aber was man deswegen alles ertragen muss, ist manchmal doch zu viel. Auf einmal will jeder über Fussball diskutieren, obwohl er kaum zwei Spieler auseinander halten kann. Auf einmal ist jeder Fan und montiert gleich noch Fähnchen an die Türen seines Autos, um das kundzutun. Wenn die Schweiz dann gewinnt, wird feiernd durch die Strassen gezogen oder hupend über selbige gefahren. Natürlich ist während der WM auch alles halb so wild, was während der Saison in der Liga als Skandal gelten würde. Als chilenische Fans einen Stadioneingang stürmten und dabei offenbar sogar in Presseräumlichkeiten vordrangen, wird auf SRF2 kommentiert: „Passiert ist nicht viel.“
Wirklich lästig wirds aber, wenn man an einem der Public Viewings auf einen Nati-Fan der nervigen Sorte trifft. Ja, Public Viewing, wer tut sich das auch an?! Aber in St.Gallen sind wir ja zum Glück mit dem Palace gesegnet, in dessen vier Wänden meist eine ausgesprochen angenehme Atmosphäre herrscht. Leider aber eben nur meist. Sobald die Schweiz spielt und Hinz und Kuntz das Spiel verfolgen will, gesellt sich auch zur Stammkundschaft im Palace der eine oder andere „Allez, allez, Schwizer Nati“-Fan. So geschehen beim gestrigen Spiel der Schweiz gegen Honduras.
Es ist ja grundsätzlich schön zu sehen, wenn sich Fans verschiedener Fussballvereine während der WM für das gleiche Team begeistern können. Aber warum man im St.Galler (!) Palace beim Spiel Schweiz (!!) gegen Honduras permanent „Hopp FCB“ schreien muss, erschliesst sich mir nicht. Warum man offensichtlich keine Ahnung von der Nati haben kann („Isch dr Barnetta ä Sangaller?“), aber trotzdem die Spieler mit Vornamen anreden muss („Chum Gökhi“), noch viel weniger. Und warum man beim Stand von 2:0 für die Schweiz vehement die Einwechslung von Dzemaili fordert („dr bescht Spieler“), kann wohl nur mit der Überlegenheit in Sachen Fussballwissen erklärt werden.
Richtig schlimm wirds, wenn man feststellen muss, dass sich um diesen offensichtlichen Alpha-Fan eine ganze Gruppe geschart hat, die mit ihm über so wichtige Themen diskutiert, wie warum Hitzfeld keine Krawatte trägt: „Du, worum hät dä keini Krawatte anne?“ – „Im Dschungel geltet anderi Reglä.“ Dummerweise hatte die ansonsten nur aus Männern bestehende Gruppe auch eine Frau dabei, die sich offenbar in der Gruppe beweisen wollte. Auf die Frage, was denn jetzt mit ihrem Shirt passiere, wenn die Schweiz gewinne, antwortet sie: „Das chunnt wäg.“ Was als leere Drohung rüberkam, entpuppte sich leider als Plan. Das veranlasste die Männerrunde zu Triumphgeheul und mich zum Gehen.
Palace, ich mag dich das ganze Jahr über. Ich mag dich eigentlich auch, wenn WM ist. Aber bitte, schliess doch zu, wenn die Schweiz spielt.
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