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Ein Wort nach dem anderen

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Cerezo Osaka vs. Pohang Steelers 0:2

Nun ist der zweite Matchbericht von meiner Japan-Reise beim Runden Leder erschienen. Alle bisher erschienen Texte zu Japan finden sich hier.

Anreise
Einfacher als in Osaka kommt man kaum zu einem Stadion. Aus dem Zentrum fährt die M-Linie der Metro direkt unter den Park, der das Nagai Stadion umgibt.

Stadion
Im Nagai-Stadion haben im Jahr 2002 zwar WM-Spiele stattgefunden, wegen der Laufbahn um den Rasen ist es aber kein wirkliches Fussballstadion. Warum Osaka bei geringem Zuschaueraufkommen nicht im gleich daneben liegenden Kincho Stadion spielt, das viel geeigneter wäre, ist nicht verständlich. Wie in Hiroshima wählt man auch hier lediglich eine Kategorie aus und nimmt dann auf einem der Sitze in eben diesem Stadionbereich Platz. Die beiden Fankurven befinden sich hier direkter hinter den Toren als noch in Hiroshima, wodurch auch eine gute Sicht gewährleistet ist.

Atmosphäre
Cerezo Osaka kann bei Heimspielen in der Liga meist auf mehr Besucher zählen als bei Champions League-Spielen. Das scheint der Stimmung aber nicht zu schaden. Die Hymne vor dem Spiel wirkt inbrünstig und scheint, ohne Näheres zum Inhalt sagen zu können, eine Eigenkreation. Optisch lehnt man sich auch hier stark an Vorbilder bekannter Fanszenen an, so schmückt eine Zaunfahne der Real Osaka Ultras die Kurve. Allerdings versucht man sich aber auch gegen den Stadtrivalen Gamba Osaka – der optisch übrigens eine nahezu perfekte Kopie von Atalanta Bergamo abgibt – abzugrenzen. Osaka City FC ist für die Cerezo-Supporter wohl nur ihr Verein. Bei den Gesängen gehen die Osaka-Fans aber auch mal eigene Wege und geben Melodien zum Besten, die man sonst noch nicht gehört hat. Und sie unterstützen ihr Team auch weiter, als die Niederlage längst besiegelt ist. Für den Gegner aus Südkorea drücken im Stadion etwa 50 Zuschauer die Daumen, die aber kaum auf sich aufmerksam machen. Erfreulich an dieser Champions League-Begegnung: Im asiatischen Fussball scheint man noch nicht alles auf die Karte Event zu setzen, wie das die europäische Schwester immer wieder tut.

Spiel
Die Ausgangslage war für die beiden Teams sehr unterschiedlich. Die Pohang Steelers konnten sich mit einem Sieg definitiv für die nächste Runde qualifizieren, Osaka brauchte einen Sieg, um im letzten Spiel im chinesischen Shandong nicht alles auf eine Karte setzen zu müssen. Cerezo Osaka, dessen Vereinsnamen sich aus dem spanischen Wort für Kirschbaum ergibt, schien ob der Bedeutung des Spiels etwas blockiert. Zwar versuchte Trainer Popovic mit einem offensiven 3-4-3 das Spiel zu bestimmen, nennenswerte Chancen ergaben sich dabei kaum. Auch der wohl bekannteste Spieler Osakas, Diego Forlan, blieb blass und wurde bereits in der Pause ausgewechselt. Diese Auswechslung hatte aber wohl auch taktische Gründe. In der 41. Minute sah Osakas Stümer Minamino nach einem Foul die direkte rote Karte. Wie auch die TV-Bilder bestätigten, wäre er sogar mit Gelb eher hart bestraft gewesen. Weil Pohang zu diesem Zeitpunkt bereits mit 1:0 in Front lag, nachdem der japanische Torhüter nur einen ersten Schuss, nicht aber den zweiten abwehren konnte, war das Spiel für Osaka faktisch gelaufen. Nichtsdestotrotz versuchten sie in der zweiten Halbzeit den Ausgleich zu erzielen, gegen Ende des Spiels auch wieder mit einer eher offensiveren Aufstellung. Daraus zogen aber die Koreaner Profit, die in der 65. Minute mit einem einfachen Spielzug zum 2:0 kamen. Damit war der Ausgang des Spiels endgültig geklärt.

Fazit
Auch wenn es sich um eine Champions League-Partie handelte, der Fussball war höchstens oberer Durchschnitt. Da hilft auch ein Diego Forlan nichts. Stimmungsmässig darf man die Fans von Cerezo Osaka aber durchaus zu den Besseren zählen, auch weil sie im Vergleich zu anderen japanischen Fankurven zumindest etwas Originalität an den Tag legen.

(Un)Gesunde Ohrfeigen

Die Fangewalt in der Schweiz soll zugenommen haben, berichteten in den letzten Tagen verschiedene Medien. Man könnte diese Zahlen anzweifeln. Insbesondere in der SonntagsZeitung, die die Zahlen zum ersten Mal publik machte, wird viel vermischt. Zum Beispiel: Die Straftatbestände, die für den Anstieg verantwortlich sind, sind nicht gerade die stichfestesten und ein Anstieg von total 228 auf 258 Straftaten im Jahr bei etlichen Fussball- und Eishockeyspielen bedeutet auch nicht gerade den Untergang des Abendlands. Ich verzichte aber darauf, auf die Zahlen genauer einzugehen.

Festhalten möchte ich aber Folgendes: In einem Artikel des 20Minuten ist unter anderem zu erfahren, dass insbesondere der Straftatbestand “Tätlichkeit” oft vorkommt, ganze 85 von insgesamt 258 Straftaten sind so erfasst (rund ein Drittel). Als Tätlichkeit gelten nur Angriffe und dergleichen, die “keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben”. Dazu gehören z.B. Ohrfeigen. Im selben 20Minuten-Artikel echauffiert sich auch SVP-Nationalrat Thomas Hurter über die angeblich zunehmende Fangewalt:

„Weitere Ursachen liegen laut Hurter beim Internet, vor allem bei Portalen wie Facebook und Twitter: «Hegt jemand einen Groll gegen dich, wirst du heute sofort öffentlich an den Pranger gestellt.» Diese Art von Angriff fördere andere Aggressionen als eine gesunde Ohrfeige.” (Hervorhebung durch mich)

Sanfrecce Hiroshima vs. FC Tokyo 1:0

Nach dem im Saiten erschienen Artikel, der meine Fussballerlebnisse in Japan zusammengefasst hat, erschien heute der erste Spielbericht auf dem Blog “Zum Runden Leder”. Zwei weitere Spielberichte folgen.

Anreise
Auf dem Weg zum Stadion ist die grösste Hürde gleich zu Beginn zu meistern: Die Astram-Linie die direkt zum Stadion führt, startet an der Station „Hondori“. Auf den gleichen Namen hört eine Haltestelle der Strassenbahn, die den Hauptteil des öV im Stadtzentrum zu schlucken scheint. Wer davon ausgeht, dass es sich dementsprechend um die gleiche Haltestelle halten müsse, der wird umherirren. Wenn man aber mal erkannt hat, dass die gesuchte Haltestelle unter der Erde liegt, ist der Weg zum Stadion ein Klacks und dauertetwa 36 Minuten (das Wort „etwa“ scheint im japanischen öV nicht zu existieren). Bei der Station „Koiki-koen-mae“ angekommen, wäre das Stadion in wenigen Minuten zu Fuss erreichbar. Der Verein stellt jedoch Shuttlebusse, an deren Benützung man kaum vorbeikommt, weil von so vielen in Vereinsfarben gekleideten Personen der Weg dorthin gezeigt wird. Eine englische Wegbeschreibung gibt’s hier.

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Stadion
Sanfrecce Hiroshima trägt seine Heimspiele im Hiroshima Big Arch aus. Der Name lässt darauf schliessen, wie das Stadion aussieht. Ein grosser Bogen prägt die Haupttribüne, an welchem auch Teile der Beleuchtung angebracht sind. Warum das Stadion früher Hiroshima Park Main Stadium hiess, erschliesst sich dem Besucher – zumindest nachts – nicht. Warum es jetzt eigentlich Edion Stadium heisst hingegen schon, wenn man die Werbeplakate betrachtet. Beim Ticketkauf wählt man lediglich eine Kategorie aus, danach darf man sich seinen Platz selber aussuchen. In unserem Fall hiess das für um die 30 Franken auf der Gegentribüne Platz nehmen. Die beiden Fanlager befinden sich in den beiden Hintertorkurven, leider beide etwas mehr in Richtung Gegengerade, wodurch uns ein optimaler Blick auf die beiden Lager leider verwehrt blieb. Rund ums Feld verläuft eine der ungeliebten Laufbahnen.

Atmosphäre
Fussball ist auch in Japan beliebt. Oft steht es aber hinter Baseball nur an zweiter Stelle. So scheint es auch in Hiroshima zu sein. Während sich das lokale Baseball-Team hoher Beliebtheit erfreut, verirren sich zum Meister der letzten beiden Jahre gerade mal gut 12‘000 Zuschauer. Während ein beträchtlicher Teil davon vor allem damit beschäftigt ist, allerlei Speisen zu verzehren, befinden sich hinter den beiden Toren echte Stimmungsblöcke. Aus der Hauptstadt sind rund 200 Fans angereist, im Heimbereich machen rund 2‘000 Menschen ordentlich Lärm. Was auf den ersten Blick auffällt: Vieles ist kopiert. Es entsteht eine Mischung aus meist europäischen Melodien und einigen südamerikanischen Stilelementen. So hört man bekannte Melodien und sieht Zaunfahnen, die man so (oder zumindest so ähnlich) auch in anderen Ländern schon gesehen hat. Das Highlight hängt dabei auf der Seite von Hiroshima: Commando Viola Ultra‘ Curva Ovest. Den Gästen aus Tokyo hätten wir dank ihrer Melodien eigentlich etwas mehr Originalität attestiert, das vor der Partie gesungene „You’ll never walk alone“ lässt das aber leider nicht zu.

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Spiel
Eigentlich sollte die Begegnung ganz anständigen Fussball bieten. Die Gäste aus Tokyo bewegen sich zwar nur im Mittelfeld der höchsten japanischen Liga, der Gastgeber aber konnte in den letzten beiden Jahren die Meisterschaft gewinnen. Man merkts der Einleitung an, so gut war der Fussball nicht. Hiroshimas Trainer Moriyasu liess nur einen nominellen Stürmer auflaufen. Zwei der sechs aufgestellten Mittelfeldspieler schienen zwar eine offensive Rolle einnehmen zu wollen, die Verteidiger passten sich aber meist lieber zuerst gefühlte hundert Mal gegenseitig den Ball zu, bevors einige Meter nach vorne ging. Tokyo versuchte zwar offensiver zu agieren, waren aber zu wenig im Ballbesitz um das wirklich in die Tat umzusetzen. Chancen blieben entsprechend Mangelware, obwohl der Schiedsrichterassistent tatkräftig mithalf und in der ersten halben Stunde die Anwendung der Abseitsregel konsequent verweigerte. Hiroshimas Coach schien sich mit dem Unentschieden anfreunden zu können: er wechselte gegen Ende des Spiels sogar seinen einzigen nominellen Stürmer aus. Die Mannschaft aber wollte dann doch noch etwas mehr zeigen. In der 80. Minute verwertete Chiba – ein Verteidiger – nach einem Eckball doch noch per Kopf. Der Meister übernahm damit wieder die Tabellenführung.

Fazit
Wenn dieses Spiel repräsentativ ist, braucht es in Japan nicht allzu viel, um zweimal hintereinander Meister werden zu können. Auf dem Platz wars kein Highlight, auf den Rängen dafür aber ganz ordentlich, wenn auch etwas zu wenig „Eigenheiten“ zu beobachten waren. In Erinnerung bleibt zudem, wenn auch auf spezielle Art und Weise, dass am Eingang jeder Zuschauer – ungeachtet von Alter und/oder Geschlecht – mit einem halben Starterkit begrüsst wird, um sein Büromaterial in die Klubfarben zu tauchen.

Fussball in Japan: Verneigung statt La Ola

150 Jahre diplomatische Beziehungen Schweiz-Japan: Überall wird gefeiert, in St.Gallen gibt es gleich drei Ausstellungen dazu, nur der Fussball ist kein Thema. Ruben Schönenberger hat sich kürzlich in Japan umgesehen.

Vor rund 20 Jahren hat sich der japanische Fussball mit der J-League ein neues Gesicht gegeben. Die Professionalisierung der Strukturen, wie sie fast jedes Land früher oder später durchmacht, markierte eine Art Neuanfang.

Japanische Fussballvereine blicken zu einem grossen Teil auf eine Vergangenheit als Firmenmannschaft zurück. Mit der Einführung der J-League brach man auch im Vereinsnamen mit dieser Tradition. Vereinsnamen mit Markenintegration wie Mitsubishi Urawa oder Mazda SC machten Bezeichnungen Platz, die wohl aufgrund eines möglichst hohen Vermarktungspotenzials gewählt wurden.

Internationalisierungs-Strategie
So spielen in der höchsten japanischen Liga, der J-League 1, zurzeit Mannschaften wie Sanfrecce Hiroshima, Kawasaki Frontale oder Urawa Red Diamonds. Man macht sich dabei schon gar nicht mehr die Mühe, die Vereinsbezeichnungen in japanischer Schrift abzufassen. Eine offensichtliche Internationalisierungs-Strategie.

Genützt hat das alles bisher nur wenig. Die japanische Nationalmannschaft konnte zwar ab und an auf sich aufmerksam machen, was aber dabei der heimischen Liga zukommt, ist schwer zu sagen. Die Klubmannschaften sind zumindest in den westlichen Fussball-Hochburgen kaum ein Begriff.

Die Fans ihrerseits haben auch eine Art Internationalisierung hinter sich. Wer schon hierzulande bemängelt, dass den Fanszenen das (Orts-)Spezifische abgeht, dass kaum noch Eigenheiten bestehen oder dass alle Fanszenen sich immer mehr gleichen, wird diesen Eindruck in Japan erst recht erhalten. Fast alles scheint kopiert.

Die Zaunfahnen zeigen Namen von Fangruppen, dies so oder zumindest so ähnlich auch andernorts gibt. Bei Sanfrecce Hiroshima ist beispielsweise vom Commando Viola Ultra‘ Curva Ovest zu lesen. Das scheint kaum eine typisch japanische Bezeichnung zu sein.

Auch in den Fankurven dominieren Elemente, die man kennt: Vertikal gespannte Stoffbahnen erinnern an Südamerika, grosse Schwenkfahnen in Reih und Glied an die deutsche Bundesliga. Die Melodien der Fangesänge sind oft bekannt. YouTube scheint man in Japan gut zu kennen. Etwas abstrus wird es aber, wenn man ein «Forza Viola» aus hunderten japanischen Kehlen hört.

Trotzdem ist Fussball in Japan mehr als einfach nur ein aus verschiedenen Ländern zusammengewürfeltes Stadionerlebnis. Für viele scheint der Stadionbesuch mehr Familienausflug als Sportanlass zu sein. Man trifft früh ein, bringt Unmengen an Essen mit und kauft dann nochmal ebenso viel an den zahlreichen Verpflegungsständen ein. Essen scheint hier elementarer Bestandteil des Stadionerlebnisses zu sein.

Auf die Fans in den Kurven trifft das natürlich weniger zu. Auch hier wird 90 Minuten lang gesungen. Und obwohl der Stil nicht unbedingt von Originalität strotzt, ist doch eine Eigenheit zu beobachten: Die gegnerische Mannschaft wird zwar nicht gerade bejubelt, aber meist mit einem gewissen Respekt bedacht. Gesänge gegen die jeweils andere Mannschaft gibt es selten, dafür versuchen die Fans die Spieler immer mal wieder mit unkoordiniertem Lärm abzulenken, wenn diese in Tornähe kommt.

Geisterspiel gegen Rassismus
Trotz des grossen Respekts musste die japanische Liga unlängst einen Skandal verzeichnen, als Fans der Urawa Red Diamonds, der meistunterstützte Verein des Landes, am Eingang zu ihrem Block ein «Japanese Only»-Banner platzierten. Der japanische Verband verurteilte diesen Rassismus und bestrafte den Verein aus dem Tokioter Vorort mit einem Geisterspiel.

In einem englisch-sprachigen Blog zum japanischen Fussball wird die Meinung unterstützt, dass es sich dabei um einen rassistischen Vorfall handelte. Als Tourist könnte man sich gut vorstellen, dass die Fans der Urawa Reds auch einfach genug hatten von Touristen in ihrem Stimmungsblock. Sollte dies der Fall sein, hätten sie sich natürlich auf eine denkbar dumme Art und Weise dagegen gewehrt.

Die wohl auffälligste Eigenheit für (westeuropäische) Fussballtouristen zeigt sich aber nach dem Spiel: Wenn hierzulande die Mannschaft mit den eigenen Fans nach dem Spiel die Welle macht, bedankt sich eine japanische Mannschaft mit einer Verneigung für die Unterstützung.

(Dieser Text ist am 25. April 2014 im Blog des Kulturmagazins Saiten erschienen).

Rauchen in Japan

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In Japan ist Rauchen in der Öffentlichkeit grundsätzlich verpönt, auch wenn es nicht überall gleich streng befolgt oder gar geahndet wird. Für Raucher heisst das, dass man sich gerade im Zentrum Tokyos nach Smoking Areas umsehen muss, wenn man im Freien rauchen will. Dafür gibts im Grossteil der Restaurants und Cafés Raucherbereiche. Während man hierzulande also eher raus muss, um zu rauchen, geht man in Japan gerne rein.

Damit auch jedem Japaner und jeder Japanerin bekannt ist, was beim Rauchen passieren kann, wird auf Aschenbechern auf eher amüsante Weise hingewiesen. Eine Auswahl:

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Hier gehts zur Übersicht aller auf diesem Blog erschienenen Japan-Texte.

Wenn eine Stadt zu normal ist…

Es gibt Städte, die sind bekannt für ihre Schönheit. Andere sind für ihre Ausgangsmöglichkeiten beliebt. Wieder andere haben eine Vergangenheit, die an der Historie Interessierte anlockt. Und dann gibt es Ortschaften, in die eigentlich niemand will und die genau deshalb spannend sind. Das englische Oldham sollte eine solche Stadt sein.

Seit neuestem ist Oldham von Manchester mit einem Tram zu erreichen. Der Ort in der Agglomeration, der einen Bahnhof mit dem Namen Mumps ihr Eigen nennen darf, ist trotz ihrer Nähe zu einer der bekanntesten Städte Englands kaum jemandem bekannt. Wer sich dennoch als Tourist dahin aufmacht, muss sich entweder in der Hotelauswahl vertan haben – das einzige Hotel des Ortes, das mit Dreier-Zimmern aufwartet, wirbt zum Beispiel mit einem Blick auf die Skyline Manchesters – oder er hat vor Jahren über die bemerkenswerte Präsenz des Ortes in der englischen Doku-Soap „Cops with Cameras“ von der Stadt erfahren. Was für eine Stadt muss das wohl sein, in der zur Mittagszeit Betrunkene in Hauseingängen geweckt werden müssen? In der sich die Polizei immer wieder Verfolgungsjagden liefert? Die in Online-Bewertungen mit „Oldham is like having a Wee. When its happening you think ‘yeah this is great,’ but then when you look down, you see Wee on your shoes.“ beschrieben wird? Aus der ein junger Erwachsener im Vollsuff einen Flug nach Paris gebucht hat, davon aber erst am nächsten Morgen in einer Pariser Flughafen-Toilette erfahren hat? Nun, wer nicht hingeht, findets nicht raus. Zeit für einen Ortstermin.

Die Anreise gestaltet sich unkompliziert. Vom Flughafen Manchester direkt per Bus, von der Stadt Manchester direkt per Tram ins Zentrum von Oldham. Der erste Eindruck: Enttäuschend. Das Busterminal sieht ganz normal aus, das Hotel ist für die praktisch geschenkten £10 pro Person sehr ordentlich und auch die Einwohner machen einen ganz gewöhnlichen Eindruck. Vielleicht tummeln sich die Einwohner, die den Ort bekannt gemacht haben, ja beim Fussball? Auch Fehlanzeige. Die Stadionbesucher sind wie mittlerweile fast überall in England gesittet. In der Halbzeitpause werden an der Bar Frizzell gar vorbestelle Biere ohne Kontrolle einfach bereit gestellt. Auch geklaut wird hier nicht. Wenn es hier etwas Bemerkenswertes gibt, dann ist das die fehlende Tribüne auf der einen Längsseite des Stadions. Nun gut, dann muss die Stadt wohl abends erwachen. Schliesslich ist es Samstagabend und in der Ausgangsstrasse reiht sich ein Pub ans andere, unterbrochen nur von unzähligen Imbissständen, die auf so einfallsreiche Namen hören wie Florida Fried Chicken, New York Fried Chicken, Kansas Fried Chicken. Unzählige weitere Lokale scheinen Hühnerspezialitäten anzupreisen. Nur sind sie alle leer. Genauso wie die Pubs. Oldham scheint am Samstagabend wie ausgestorben. An den Preisen kanns nicht liegen. Das Pint Ale kostet sogar für englische Verhältnisse wenig.

Was bleibt nach diesem Ausflug? Entweder hat Oldham in den letzten Jahren eine Gentrifizierung erlebt, die alteingesessene Einwohner vertrieben hat, ohne die nach Manchester pendelnde Mittelklasse anzuziehen. Oder die Berichte über die Zustände im Ort waren von Beginn weg überzeichnet. So oder so: Von einem Besuch kann man gut absehen.

(Remo war auf dieser Reise auch dabei. Seinen Bericht gibts hier.)

Klar ist: Die Kommerzialisierung zerstört die grossen Gefühle der Fans. Ich sage absichtlich Fans, denn Zuschauer sind keine Fans. Was viele Investoren ignorieren: In der Privatwirtschaft gibt es Rendite, im Fussball gibt es Gefühle.

FC Luzern-Trainer Carlos Bernegger im aktuellen Zwölf.

Die SBB und Fussballfans

In der Berner Zeitung wurde SBB-Sprecher Christian Ginsig interviewt. Thema: Bei einem Zug durch einen Tunnel werden diverse Fenster beschädigt. Es stellt sich heraus, dass die SBB einen Schrank nicht richtig gesichert hat. Der Schaden am Zug muss also auf der Seite geschehen sein, der näher an der Tunnelwand liegt. Umso unverständlicher die Antwort des SBB-Sprechers, die ich hier ohne weiteren Kommentar wiedergebe:

„Wir sind vorerst von einer anderen Ursache ausgegangen. Wir glaubten, dass die Fenster an den vier Waggons beim Kreuzen mit einem Extrazug mit Fussballfans zerbrachen.“

Die Ja-Stimmen zur Masseneinwanderungsinitiative ins Verhältnis gesetzt zum Ausländeranteil im jeweiligen Bezirk.

UPDATE: Offenbar hatte da schon jemand die gleiche Idee bzw. Ahnung und hats dann grafisch auch noch schöner umgesetzt.

Kein gutes Zeugnis für die KKJPD

Vergangene Woche veröffentlichte das Bundesgericht sein Urteil zur Beschwerde gegen die Verschärfungen des Hooligan-Konkordats. Zwei Punkte sind verfassungswidrig, bei vielen anderen Punkten gibt es interessante Erwägungen, die die Auslegung des Konkordats beeinflussen, vor allem aber wohl von Fans und Anwälten in kommenden Gerichtsverfahren aufgeführt werden müssen.

Einen Kommentar zum Urteil durfte ich für Saiten verfassen. Mein Fazit dort:

„Fakt ist aber auch, dass der direkte Eingriff des Bundesgerichts in den Konkordatstext der KKJPD kein gutes Zeugnis ausstellt. Es bleibt zu hoffen, dass das Urteil zu einer verhältnismässigeren Anwendung des Konkordats führt, damit Fälle wie die jüngste Testspielabsage wegen unerklärlicher Auflagen verhindert werden können und Fussballfans sich ihr Recht nicht immer wieder vor Gericht erkämpfen müssen.“

Das Urteil ebenfalls kommentiert hat Michael Rockenbach in der TagesWoche:

„In den nächsten Monaten müssen die Konkordats-Kantone nun das Gegenteil beweisen: dass sie ihre Versprechen künftig halten und die Stadiongänger nicht länger mit unnötigen oder übertriebenen Massnahmen schikanieren.“

„Mit seinem Urteil hat das Bundesgericht der Staatsmacht deutlich die Grenzen aufgezeigt.“

„Mehr kann man von der abstrakten Normenkontrolle auch gar nicht erwarten, bei der die Verfassungsmässigkeit von kantonalen Erlassen überprüft wird.“

Ganz aktuell und wohl nur sehr am Rande von diesem Urteil beeinflusst, hat nun auch das Parlament des Kantons Basellandschaft die Verschärfungen des Konkordats bachab geschickt. Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer, aber zumindest ist es in Sachen Hooligan-Konkordat nicht mehr tiefster Winter.

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