Ein Wort nach dem anderen

Schlagwort: Kantonsrat

Update zu „Das nennt ihr Problemlösung?“

Am 24. April hat der Kantonsrat in erster Lesung die Verschärfung des sogenannten Hooligan-Konkordats angenommen. Inzwischen wurde der Kantonsrat neu gewählt. In der ersten Session in neuer Zusammensetzung wurde die Verschärfung auch in zweiter Lesung abgesegnet. Nun jedoch mit zusätzlichen Nein-Stimmen. Ein Blick auf die Daten.

Die erste Lesung am 24. April war ernüchternd. Warum dieses verschärfte Konkordat niemals hätte angenommen werden dürfen, ist in einem früheren Blogpost zu finden. Ebenfalls zu finden ist in diesem eine Auflistung der Kantonsrätinnen und Kantonsräte, die die Verschärfung abgelehnt haben. Es waren gerade mal acht. In der zweiten Lesung und damit in der neuen Zusammensetzung warens immerhin schon 16 (11x SP, 4x Grüne, 1x glp):

  • Ludwig Altenburger, Buchs, SP
  • Daniel Baumgartner, Flawil, SP
  • Ruedi Blumer, Gossau, SP
  • Claudia Friedl, St.Gallen, SP
  • Meinrad Gschwend, Altstätten, Grüne
  • Daniel Gut, Buchs, SP
  • Agnes Haag, St.Gallen, SP
  • Peter Hartmann, Flawil, SP
  • Etrit Hasler, St.Gallen, SP
  • Susanne Hoare-Widmer, St.Gallen, Grüne
  • Maria Huber, Rorschach, SP
  • Karin Ilg, St.Gallen, glp
  • Dario Sulzer, Wil, SP
  • Bettina Surber, St.Gallen, SP
  • Franziska Wenk, St.Gallen, Grüne
  • Guido Wick, Wil, Grüne

Acht Kantonsrätinnen und Kantonsräte haben nicht abgestimmt, die restlichen 96 haben zugestimmt (zu allen Angaben). Franz Mächler (Wil, FDP) ist als einziger von der 1. zur 2. Lesung ins Ja-Lager gewechselt. Vom Ja- ins Nein-Lager gewechselt haben Ludwig Altenburger, Daniel Baumgartner und Meinrad Gschwend. Fünf der 16 Nein-Stimmen kamen durch neue Kantonsrätinnen und Kantonsräte zustande.

Auch wenn das Resultat in der zweiten Lesung etwas besser wurde, es ist immer noch brutal und lässt tief blicken, wie Politik im Kanton St.Gallen zurzeit funktioniert. Im krassen Gegensatz zu anderen Kantonen wie z.B. Basel-Stadt, wo das Konkordat bisher noch nicht mal bis in den Kantonsrat kam.

Das nennt ihr Problemlösung?

Der St.Galler Kantonsrat hat gestern die Verschärfung des Hooligan-Konkordats angenommen. Das war leider zu erwarten. Trotzdem ist es nur schwer verständlich.

Nach ersten Informationen haben sich 92 Kantonsrätinnen und Kantonsräte für die Verschärfung ausgesprochen. Acht (7x SP, 1x glp 5x SP, 1x Grüne, 1x glp, 1x FDP) waren dagegen. Das heisst also, für 92 Kantonsrätinnen und Kantonsräte ist es okay, dass…

…zwischen geringfügigen Delikten wie Hinderung einer Amtshandlung und gröberen Delikten wie schwere Körperverletzung kein Unterschied gemacht wird.
…der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ umgekehrt wird. Ein Fan muss beweisen, dass er unschuldig ist.
…Einsprachen keine aufschiebenden Wirkungen haben.
…als Nachweis gewalttätigen Verhaltens bereits eine Aussage eines privaten Sicherheitsmitarbeiters reicht.
…sämtliche Spiele sämtlicher Ligen sämtlicher Sportarten prinzipiell bewilligungspflichtig erklärt werden können.
…private Sicherheitsdienste auch den Intimbereich abtasten dürfen.
…bereits 13-Jährige wegen geringfügiger Delikte jedes Wochenende auf dem Polizeiposten antraben müssen, um ihre Abwesenheit vom Stadion zu beweisen.

Man könnte weitere Punkte anhängen. Einige davon finden sich auch in einem Artikel, den ich für das Politimagazin der SP St.Gallen geschrieben habe. Dieser ist auch hier zu finden. Man braucht nur einige Jahre als Fussballfan verbracht zu haben, um die Probleme zu sehen, die unweigerlich entstehen werden. Ich möchte dies anhand eines Beispiels illustrieren:

Ein Polizist beschuldigt einen Fan, eine Amtshandlung behindert zu haben. Der Fan wird angezeigt. Bevor er sich im Rahmen dieses Strafverfahrens dazu äussern kann, erhält der Fan ein Stadionverbot und ein Rayonverbot, beides für zwei Jahre. Nach einigen Wochen wird der Fan freigesprochen. Doch der Polizist, der den Fan ursprünglich angezeigt hatte, zieht den Fall weiter. Deshalb wird auch weder das Stadion- noch das Rayonverbot aufgehoben. Auch in zweiter Instanz wird der Fan freigesprochen. Er versucht wieder, sein Stadion- und sein Rayonverbot aufzulösen. Gezwungen ist dazu aber niemand. Die Anzeige, die er ganz zu Beginn erhalten hatte, ist gemäss Konkordat ein Nachweis für gewalttätiges Verhalten. Im besten Fall hat er also einfach bis zum Abschluss des Strafverfahrens keinen Fussballmatch mehr gesehen, unschuldig. Auch das kann Monate, wenn nicht Jahre dauern. Im schlimmsten Fall interessierts aber sowieso niemanden, dass er einen offiziellen Freispruch erlangt hat. Der Fan sieht die vollen zwei Jahre kein Spiel, unschuldig. Wer nun denkt, dieses Beispiel sei gesucht, der irrt. Solche Fälle existieren.

Und auch die Bewiligungspflicht ist nicht durchacht. Gerade das Spiel SC Brühl – FC Aarau hat gezeigt, wozu es führen kann, wenn die Polizei Auflagen stellen kann, wie es ihr beliebt. Warum die Polizei ihre Auflagen so stellt, bleibt ihr Geheimnis. Offenbar kann man bei der Stadtpolizei in Alternativrealitäten Einblick nehmen. Anders lässt sich die Aussage von Polizeikommandant Pius Valier im Tagblatt nicht erklären, dass es trotz 30 FCSG-Fans vor Ort ruhig blieb. Offenbar weiss die Polizei, dass diese 30 FCSG-Fans ohne Polizei für Radau gesorgt hätten. Warum soll ein FCSG-Fan auch Interesse an einem Fussballspiel eines direkten Kontrahenten haben?

Mit der Konkordatsverschärfung hat man nun einen Freipass für alle Repressionsfanatiker geschaffen. Bewilligt wird das, was die Polizei bewilligt haben will. Und so, wies die Polizei haben will. Ohne Mitsprache. Aber mit Bezahlung. Natürlich wird die Polizei da immer am oberen Ende der Skala sein. So einfach kann man sein Budget sonst kaum rechtfertigen. Schnell ein paar Polizisten bei völlig ungefährlichen Spielen wie Brühl – Locarno in Vollmontur auflaufen lassen, schon kann man sich über die Überstunden beschweren und eine Aufstockung fordern. Was die Politik da verbockt hat, wird dem einen oder anderen Kantonsrat wohl erst bewusst, wenn sein eigener Amateurklub auf einmal Sicherheitskräfte anstellen muss. Die er selbst bezahlt.

Zum Schluss: Das grösste Problem an dieser Verschärfung ist, dass die engagierten Kräfte in der Fanszene erneut vor den Kopf gestossen werden. Die Motivation, sich für etwas einzusetzen, schwindet, wenn man doch nur als Sicherheitsrisiko behandelt wird. Diese Kräfte werden sich irgendwann abwenden, die Szene radikalisiert sich. Ob die 92 Kantonsrätinnen und Kantonsräte, die der Verschärfung zugestimmt haben, daran gedacht haben?

Update (26. April, 09.00 Uhr): Im heutigen Tagblatt ist ein Artikel zu finden über Pyro in unteren Ligen. Darin steht unter anderem: „Das würde dem in Deutschland und England bekannten Phänomen entsprechen, dass Fans aufgrund der zunehmenden Repression in den grossen Stadien vermehrt in tieferen Ligen bei kleineren Clubs zünden.“ Diese Verlagerung steht symbolisch für weitere, die in den nächsten Jahren folgen werden. In der Botschaft zur Konkordatsverschärfung wird das abgestritten…

Update (18. April, 13.00 Uhr): Jetzt ist das genaue Abstimmungsresultat online. Nicht zugestimmt haben der Konkordatsverschärfung:

  • Blumer Ruedi, Gossau, SP
  • Friedl Claudia, St.Gallen, SP
  • Haag Agnes, St.Gallen, SP
  • Hartmann Peter, Flawil, SP
  • Huber Maria, Rorschach, SP
  • Ilg Karin, St.Gallen, glp
  • Mächler Franz, Wil, FDP
  • Wick Guido, Wil, Grüne

Dazu gabs 20 Kantonsrätinnen und Kantonsräte, die nicht abgestimmt haben. Diese sind ebenso wie die zustimmenden ParlamentarierInnen auf der verlinkten Seite zu finden.

Update (11. Juli 2012, 12:04): Die Verschärfung wurde auch in zweiter Lesung verabschiedet. Etwas weniger brutal: Die Zahlen.

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