Nun hat es die FDP also doch noch geschafft. Ihre Initiative „Bürokratie-Stopp“ wurde heute bei der Bundeskanzlei eingereicht. Die NZZ titelt „Zitterpartie für die FDP beendet“. Aber, hat es die FDP wirklich geschafft? Zustandegekommen ist eine Initiative, wenn die Bundeskanzlei die eingereichten Unterschriften geprüft hat. Das steht in diesem Fall noch aus!
Die Unterschriften, die ein Initiativkomitee bei der Bundeskanzlei einreicht, sind bereits von den Gemeinden beglaubigt. Doppelte und ungültige Unterschriften sind also bereits rausgefiltert. Aber auch bei der Prüfung der Bundeskanzlei wird die Zahl der gültigen Unterschriften regelmässig kleiner. Wenn ein Initiativkomitee Tausende Stimmen „zu viel“ einreicht, kann bei der Einreichung schon vom Erfolg des Komitees berichtet werden. Mehr als maximal eine tiefe vierstellige Anzahl Unterschriften wird von der Bundeskanzlei nie beanstandet. Wenn aber, wie im Fall der FDP-Initiative, das Polster nur gerade 650 Unterschriften beträgt, ist es verfrüht, die Initiative bereits als erfolgreich zu bezeichnen.
Ich hab deshalb die letzten Initiativen betrachtet, die bei der Bundeskanzlei eingereicht wurden. Die Auflistung der Zahlen findet sich hier. Im Durchschnitt waren bei den letzten zehn Initiativen 0.67% der bei der Bundeskanzlei eingereichten Unterschriften ungültig. Für die FDP-Initiative, die nach Angaben der Partei mit 100’650 Unterschriften eingereicht wurde, ergäbe das 99’976 gültige Unterschriften. 24 zu wenig. Betrachtet man auch noch die durchschnittliche Zeit, bis die Bundeskanzlei die Unterschriften geprüft hat, wird das Resultat am 19. Mai veröffentlicht.
Das ist natürlich keine exakte Berechnung. Statistiker fänden wohl verschiedene Punkte, die man ebenfalls in Betracht ziehen müsste. Nur schon die Datenmenge ist relativ klein. Und bei fünf der letzten zehn Initiativen war der Prozentsatz der ungültigen Stimmen kleiner als 0.645%, was auch bei der FDP-Initiative reichen würde. Wenn man aber auch noch bedenkt, dass die Gemeinden für die Erstbeglaubigung auch unter Zeitdruck standen, was Fehler wahrscheinlicher macht, ist klar: Es wird eng.
Update (13. April, 18:44): Nach der gestrigen Einreichung der Initiative war es praktisch allen Medien höchstens eine Randnotiz wert, dass die Unterschriften noch von der Bundeskanzlei geprüft werden müssen. Trotz des sehr knappen Polsters. Heute dann endlich ein Artikel, der das thematisiert. Die Berner Zeitung schreibt: „Die FDP muss monatelang zittern“ Darin erfährt man zum Beispiel auch, dass Initiativen, die mit 95’000 bis 101’000 Unterschriften eingereicht werden, genauer geprüft werden. Oder das die knappste zustandegekommene Initiative nur gerade 100’038 gültige Unterschriften verbuchen konnte. Mir bleibt schleierhaft, warum das gestern von keinem Journalist aufgegriffen wurde.
Update (13. April, 19:30): Auf einen weiteren Punkt macht Andreas Kyriacou aufmerksam. Gemäss Auskunft der FDP sollen am Tag der Einreichung sogar per Fax Unterschriftenbeglaubigungen von den Gemeinden zurückgekommen sein. Das heisst konkret: Die Gemeinde hat die von der FDP eingereichten Unterschriften kontrolliert, aber nicht im Original wieder zurückgeliefert. Sondern per Fax, also als Kopie. Folglich werden die Originale erst nach Ablauf der Sammelfrist bei der Bundeskanzlei eingereicht. Die FDP bestätigt das.
@andreaskyriacou Wir haben nach Absprache vereinbart, Faxe abzugeben und die Originale nachzuliefern.
— FDP.Die Liberalen (@FDP_Liberalen) April 13, 2012
Offenbar hat die FDP mit der Bundeskanzlei Absprachen getroffen. Trotzdem fragen sich verschiedene Twitter-User, ob sowas wirklich geht. Einige Meinungen sind hier zusammengefasst. Ich bin zwar kein Jurist, aber in Gesetzen finde ich mich halbwegs zurecht. Deshalb hab ich einen Blick ins Bundesgesetz über die politischen Rechte gewagt. Interessant sind meiner Meinung nach folgende Punkte:
Art. 71 Abs. 1: Die Unterschriftenlisten einer Volksinitiative sind der Bundeskanzlei gesamthaft und spätestens 18 Monate seit der Veröffentlichung des Initiativtextes im Bundesblatt einzureichen.
Art. 72 Abs. 2 lit. c: Ungültig sind Unterschriften auf Listen, die nach Ablauf der Sammelfrist eingereicht worden sind.
Art. 70 i.V.m. Art. 62 Abs. 3: Die Bescheinigung muss in Worten oder Ziffern die Zahl der bescheinigten Unterschriften angeben; sie muss datiert sein und die eigenhändige Unterschrift des Beamten aufweisen und dessen amtliche Eigenschaft durch Stempel oder Zusatz kennzeichnen.
Es scheint mir doch sehr fraglich, ob per Fax erhaltene Beglaubigungen und Unterschriften diese Kriterien wirklich erfüllen. Zumal gemäss FDP die Bundeskanzlei darauf besteht, dass die Originale nachgereicht werden. Auf Twitter geben einige an, die Bundeskanzlei habe ausgesagt, Faxe würden nicht anerkannt. Ich frag da jetzt wohl mal selber an.
Update (14. April, 18.15 Uhr): Andreas Kyriacou hat einen Blogbeitrag zu der Geschichte mit den Fax-Bögen veröffentlicht. Interessant: „Auf meine Mail-Anfrage wurde mir am Freitag von der Bundeskanzlei denn auch ausdrücklich bestätigt, dass per Fax eingereichte Unterschriften «nicht als gültig zu werten sind». “
Update (16. April, 18:55 Uhr): Meine Anfrage an die Bundeskanzlei wurde bisher nicht beantwortet. 20Minuten-Journalist Lukas Mäder hat jedoch bereits Antwort erhalten. In seinem Artikel zitiert er die Bundeskanzlei, wonach per Fax eingereichte Unterschriften nicht gültig sind: „Ein Nachreichen der Unterschriftenbogen sei nicht möglich.“ Davon hätte die FDP sogar Kenntnis gehabt. Damit verringert sich nach Angaben des Journalisten das Polster um 250 Unterschriften. Führt man obige Berechnung neu aus, ergibt sich folgende Prognose: Der FDP fehlen 273 Unterschriften.
Update (4. Juli, 16:52): Die Initiative ist gescheitert!