Ein Wort nach dem anderen

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Urawa Red Diamonds – Kawasaki Frontale 1:0

Der dritte und letzte Matchbericht von meiner Japan-Reise ist beim Runden Leder erschienen. Alle bisher erschienen Texte zu Japan finden sich hier.

Anreise
Das Stadion der Urawa Red Diamonds liegt in einem Vorortsbezirk Tokyos. Dorthin gelangt man am einfachsten mit der Saitama Railway Line, welche eine direkte Fortsetzung der Nanbuko Metro Line darstellt. Wer also beispielsweise in Oji in die Metro steigt, kann bis zur Station Urawa-Misono durchfahren, auch wenn die Metro zwischendurch zur S-Bahn wird. Von der Station geht es den Menschenmassen nach, das etwa 1km entfernte Stadion lässt sich kaum verfehlen. Eine englische Wegbeschreibung findet sich hier.

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Stadion
Das Saitama Stadium 2002 wurde, wie es der Name andeutet, für die WM 2002 gebaut. Es sollte dem Vorortbezirk Urawa als Anstoss dienen, die Entwicklung des Gebiets voranzutreiben. Auch heute steht das Stadion aber noch verlassen inmitten einer sonst für den Grossraum Tokyo unüblichen Brache. Im Gegensatz zu vielen anderen Stadien in Japan handelt es sich hier um ein reines Fussballstadion, das zudem durch seine Grösse beeindruckt. Über drei Ränge verteilen sich 63‘700 Sitze. Free-Seating in der gewählten Kategorie gibt’s hier aber nicht. Entsprechend sollte man sich, auch wenn es gerade stürmt, an den Eingang halten, der auf dem Ticket aufgedruckt ist. Sonst endet man im falschen Rang und muss auf die Hilfsbereitschaft eines japanisch sprechenden Zuschauers hoffen, der dem Personal am Stadioneingang erklärt, warum man jetzt mit einem bereits entwerteten Ticket wieder vor dem Stadion steht.

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Atmosphäre
Die Urawa Red Diamonds – oder kurz die Urawa Reds – sind das japanische Team mit der grössten Anhängerschaft. Und der Verein scheint sich auch der Liga der ganz Grossen angehörig zu fühlen. Anders lässt sich die massive Lärmbelästigung vor dem Spiel nicht erklären, durch die wohl dem Spiel ein geeigneter Rahmen verliehen werden soll. Während dem Spiel hält sich die unnötige Berieselung mit einer Mischung aus Werbung und Anheizen aber zum Glück auf einem Minimum. Leider bleibt aber auch die Kurve der Urawa Reds bei einem Minimum. Während wir zuerst noch an einen Streik der Kurve glaubten – auch wenn wir uns das in Japan kaum vorstellen konnten – stellte sich im Nachhinein hinaus, dass man in Urawa wirklich so selten singt. Die fehlenden Zaun- und Schwenkfahnen sind eine Spätfolge eines „Japanese Only“-Banners, das die Reds am Eingang zu ihrem Block platziert hatten. Der Verein erlaubt seither nur noch vereinseigene, kleine Schwenkfahnen. Ganz anders als die Fans von Urawa waren aber die Gäste aus Kawasaki glänzend aufgelegt. Ein gefüllter Gästeblock, der im unteren Teil einen beachtlichen Stimmungsblock beinhaltete, der konstant für Stimmung sorgte und auch einige eigene Melodien auf Lager hatte. Optisch wars aber einmal mehr ziemlich kopiert. Die Gästefans hatten zwar über die meiste Zeit des Spiels die Oberhand. Wenn die Reds aber mal loslegen, offenbarten sie ein immenses Potenzial, das man eigentlich besser ausschöpfen müsste. Immerhin waren die Reds die einzige Anhängerschaft, die auch mal einen Gegenspieler mit Pfiffen eindeckten.

Spiel
Die Reds, die an sich wohl immer den Anspruch stellen, vorne mitzumischen, sind nicht optimal in die Saison gestartet, die hier jeweils erst im Frühling beginnt. Nach den ersten Spielen scheint man sich aber gefangen zu haben und setzt Kurs in Richtung Tabellenspitze. Ein eigentlich eher defensiv ausgerichtetes 3-6-1 entpuppte sich dank des sehr variablen Mittelfelds als gute Waffe gegen die Abwehr von Kawaski. Diese konnten sich nur ab und selber in Szene setzen, vergaben aber sämtliche Chancen. Urawa indes hatte auch Mühe, die Chancen zu verwerten. Erst in der 68. Minute klappte es mit dem ersten und einzigen Tor.

Fazit
Kurzum: Zwiespältig. Von der Fanszene Urawas hätte man sich mehr erwartet. Das offensichtliche Potenzial wird nur sehr selten ausgenützt. Positiv überrascht haben dafür die mitgereisten Anhänger aus Kawasaki. Spielerisch wars vermutlich das beste der drei Spiele.

Sanfrecce Hiroshima vs. FC Tokyo 1:0

Nach dem im Saiten erschienen Artikel, der meine Fussballerlebnisse in Japan zusammengefasst hat, erschien heute der erste Spielbericht auf dem Blog “Zum Runden Leder”. Zwei weitere Spielberichte folgen.

Anreise
Auf dem Weg zum Stadion ist die grösste Hürde gleich zu Beginn zu meistern: Die Astram-Linie die direkt zum Stadion führt, startet an der Station „Hondori“. Auf den gleichen Namen hört eine Haltestelle der Strassenbahn, die den Hauptteil des öV im Stadtzentrum zu schlucken scheint. Wer davon ausgeht, dass es sich dementsprechend um die gleiche Haltestelle halten müsse, der wird umherirren. Wenn man aber mal erkannt hat, dass die gesuchte Haltestelle unter der Erde liegt, ist der Weg zum Stadion ein Klacks und dauertetwa 36 Minuten (das Wort „etwa“ scheint im japanischen öV nicht zu existieren). Bei der Station „Koiki-koen-mae“ angekommen, wäre das Stadion in wenigen Minuten zu Fuss erreichbar. Der Verein stellt jedoch Shuttlebusse, an deren Benützung man kaum vorbeikommt, weil von so vielen in Vereinsfarben gekleideten Personen der Weg dorthin gezeigt wird. Eine englische Wegbeschreibung gibt’s hier.

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Stadion
Sanfrecce Hiroshima trägt seine Heimspiele im Hiroshima Big Arch aus. Der Name lässt darauf schliessen, wie das Stadion aussieht. Ein grosser Bogen prägt die Haupttribüne, an welchem auch Teile der Beleuchtung angebracht sind. Warum das Stadion früher Hiroshima Park Main Stadium hiess, erschliesst sich dem Besucher – zumindest nachts – nicht. Warum es jetzt eigentlich Edion Stadium heisst hingegen schon, wenn man die Werbeplakate betrachtet. Beim Ticketkauf wählt man lediglich eine Kategorie aus, danach darf man sich seinen Platz selber aussuchen. In unserem Fall hiess das für um die 30 Franken auf der Gegentribüne Platz nehmen. Die beiden Fanlager befinden sich in den beiden Hintertorkurven, leider beide etwas mehr in Richtung Gegengerade, wodurch uns ein optimaler Blick auf die beiden Lager leider verwehrt blieb. Rund ums Feld verläuft eine der ungeliebten Laufbahnen.

Atmosphäre
Fussball ist auch in Japan beliebt. Oft steht es aber hinter Baseball nur an zweiter Stelle. So scheint es auch in Hiroshima zu sein. Während sich das lokale Baseball-Team hoher Beliebtheit erfreut, verirren sich zum Meister der letzten beiden Jahre gerade mal gut 12‘000 Zuschauer. Während ein beträchtlicher Teil davon vor allem damit beschäftigt ist, allerlei Speisen zu verzehren, befinden sich hinter den beiden Toren echte Stimmungsblöcke. Aus der Hauptstadt sind rund 200 Fans angereist, im Heimbereich machen rund 2‘000 Menschen ordentlich Lärm. Was auf den ersten Blick auffällt: Vieles ist kopiert. Es entsteht eine Mischung aus meist europäischen Melodien und einigen südamerikanischen Stilelementen. So hört man bekannte Melodien und sieht Zaunfahnen, die man so (oder zumindest so ähnlich) auch in anderen Ländern schon gesehen hat. Das Highlight hängt dabei auf der Seite von Hiroshima: Commando Viola Ultra‘ Curva Ovest. Den Gästen aus Tokyo hätten wir dank ihrer Melodien eigentlich etwas mehr Originalität attestiert, das vor der Partie gesungene „You’ll never walk alone“ lässt das aber leider nicht zu.

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Spiel
Eigentlich sollte die Begegnung ganz anständigen Fussball bieten. Die Gäste aus Tokyo bewegen sich zwar nur im Mittelfeld der höchsten japanischen Liga, der Gastgeber aber konnte in den letzten beiden Jahren die Meisterschaft gewinnen. Man merkts der Einleitung an, so gut war der Fussball nicht. Hiroshimas Trainer Moriyasu liess nur einen nominellen Stürmer auflaufen. Zwei der sechs aufgestellten Mittelfeldspieler schienen zwar eine offensive Rolle einnehmen zu wollen, die Verteidiger passten sich aber meist lieber zuerst gefühlte hundert Mal gegenseitig den Ball zu, bevors einige Meter nach vorne ging. Tokyo versuchte zwar offensiver zu agieren, waren aber zu wenig im Ballbesitz um das wirklich in die Tat umzusetzen. Chancen blieben entsprechend Mangelware, obwohl der Schiedsrichterassistent tatkräftig mithalf und in der ersten halben Stunde die Anwendung der Abseitsregel konsequent verweigerte. Hiroshimas Coach schien sich mit dem Unentschieden anfreunden zu können: er wechselte gegen Ende des Spiels sogar seinen einzigen nominellen Stürmer aus. Die Mannschaft aber wollte dann doch noch etwas mehr zeigen. In der 80. Minute verwertete Chiba – ein Verteidiger – nach einem Eckball doch noch per Kopf. Der Meister übernahm damit wieder die Tabellenführung.

Fazit
Wenn dieses Spiel repräsentativ ist, braucht es in Japan nicht allzu viel, um zweimal hintereinander Meister werden zu können. Auf dem Platz wars kein Highlight, auf den Rängen dafür aber ganz ordentlich, wenn auch etwas zu wenig „Eigenheiten“ zu beobachten waren. In Erinnerung bleibt zudem, wenn auch auf spezielle Art und Weise, dass am Eingang jeder Zuschauer – ungeachtet von Alter und/oder Geschlecht – mit einem halben Starterkit begrüsst wird, um sein Büromaterial in die Klubfarben zu tauchen.

Fussball in Japan: Verneigung statt La Ola

150 Jahre diplomatische Beziehungen Schweiz-Japan: Überall wird gefeiert, in St.Gallen gibt es gleich drei Ausstellungen dazu, nur der Fussball ist kein Thema. Ruben Schönenberger hat sich kürzlich in Japan umgesehen.

Vor rund 20 Jahren hat sich der japanische Fussball mit der J-League ein neues Gesicht gegeben. Die Professionalisierung der Strukturen, wie sie fast jedes Land früher oder später durchmacht, markierte eine Art Neuanfang.

Japanische Fussballvereine blicken zu einem grossen Teil auf eine Vergangenheit als Firmenmannschaft zurück. Mit der Einführung der J-League brach man auch im Vereinsnamen mit dieser Tradition. Vereinsnamen mit Markenintegration wie Mitsubishi Urawa oder Mazda SC machten Bezeichnungen Platz, die wohl aufgrund eines möglichst hohen Vermarktungspotenzials gewählt wurden.

Internationalisierungs-Strategie
So spielen in der höchsten japanischen Liga, der J-League 1, zurzeit Mannschaften wie Sanfrecce Hiroshima, Kawasaki Frontale oder Urawa Red Diamonds. Man macht sich dabei schon gar nicht mehr die Mühe, die Vereinsbezeichnungen in japanischer Schrift abzufassen. Eine offensichtliche Internationalisierungs-Strategie.

Genützt hat das alles bisher nur wenig. Die japanische Nationalmannschaft konnte zwar ab und an auf sich aufmerksam machen, was aber dabei der heimischen Liga zukommt, ist schwer zu sagen. Die Klubmannschaften sind zumindest in den westlichen Fussball-Hochburgen kaum ein Begriff.

Die Fans ihrerseits haben auch eine Art Internationalisierung hinter sich. Wer schon hierzulande bemängelt, dass den Fanszenen das (Orts-)Spezifische abgeht, dass kaum noch Eigenheiten bestehen oder dass alle Fanszenen sich immer mehr gleichen, wird diesen Eindruck in Japan erst recht erhalten. Fast alles scheint kopiert.

Die Zaunfahnen zeigen Namen von Fangruppen, dies so oder zumindest so ähnlich auch andernorts gibt. Bei Sanfrecce Hiroshima ist beispielsweise vom Commando Viola Ultra‘ Curva Ovest zu lesen. Das scheint kaum eine typisch japanische Bezeichnung zu sein.

Auch in den Fankurven dominieren Elemente, die man kennt: Vertikal gespannte Stoffbahnen erinnern an Südamerika, grosse Schwenkfahnen in Reih und Glied an die deutsche Bundesliga. Die Melodien der Fangesänge sind oft bekannt. YouTube scheint man in Japan gut zu kennen. Etwas abstrus wird es aber, wenn man ein «Forza Viola» aus hunderten japanischen Kehlen hört.

Trotzdem ist Fussball in Japan mehr als einfach nur ein aus verschiedenen Ländern zusammengewürfeltes Stadionerlebnis. Für viele scheint der Stadionbesuch mehr Familienausflug als Sportanlass zu sein. Man trifft früh ein, bringt Unmengen an Essen mit und kauft dann nochmal ebenso viel an den zahlreichen Verpflegungsständen ein. Essen scheint hier elementarer Bestandteil des Stadionerlebnisses zu sein.

Auf die Fans in den Kurven trifft das natürlich weniger zu. Auch hier wird 90 Minuten lang gesungen. Und obwohl der Stil nicht unbedingt von Originalität strotzt, ist doch eine Eigenheit zu beobachten: Die gegnerische Mannschaft wird zwar nicht gerade bejubelt, aber meist mit einem gewissen Respekt bedacht. Gesänge gegen die jeweils andere Mannschaft gibt es selten, dafür versuchen die Fans die Spieler immer mal wieder mit unkoordiniertem Lärm abzulenken, wenn diese in Tornähe kommt.

Geisterspiel gegen Rassismus
Trotz des grossen Respekts musste die japanische Liga unlängst einen Skandal verzeichnen, als Fans der Urawa Red Diamonds, der meistunterstützte Verein des Landes, am Eingang zu ihrem Block ein «Japanese Only»-Banner platzierten. Der japanische Verband verurteilte diesen Rassismus und bestrafte den Verein aus dem Tokioter Vorort mit einem Geisterspiel.

In einem englisch-sprachigen Blog zum japanischen Fussball wird die Meinung unterstützt, dass es sich dabei um einen rassistischen Vorfall handelte. Als Tourist könnte man sich gut vorstellen, dass die Fans der Urawa Reds auch einfach genug hatten von Touristen in ihrem Stimmungsblock. Sollte dies der Fall sein, hätten sie sich natürlich auf eine denkbar dumme Art und Weise dagegen gewehrt.

Die wohl auffälligste Eigenheit für (westeuropäische) Fussballtouristen zeigt sich aber nach dem Spiel: Wenn hierzulande die Mannschaft mit den eigenen Fans nach dem Spiel die Welle macht, bedankt sich eine japanische Mannschaft mit einer Verneigung für die Unterstützung.

(Dieser Text ist am 25. April 2014 im Blog des Kulturmagazins Saiten erschienen).

Klar ist: Die Kommerzialisierung zerstört die grossen Gefühle der Fans. Ich sage absichtlich Fans, denn Zuschauer sind keine Fans. Was viele Investoren ignorieren: In der Privatwirtschaft gibt es Rendite, im Fussball gibt es Gefühle.

FC Luzern-Trainer Carlos Bernegger im aktuellen Zwölf.

Die SBB und Fussballfans

In der Berner Zeitung wurde SBB-Sprecher Christian Ginsig interviewt. Thema: Bei einem Zug durch einen Tunnel werden diverse Fenster beschädigt. Es stellt sich heraus, dass die SBB einen Schrank nicht richtig gesichert hat. Der Schaden am Zug muss also auf der Seite geschehen sein, der näher an der Tunnelwand liegt. Umso unverständlicher die Antwort des SBB-Sprechers, die ich hier ohne weiteren Kommentar wiedergebe:

„Wir sind vorerst von einer anderen Ursache ausgegangen. Wir glaubten, dass die Fenster an den vier Waggons beim Kreuzen mit einem Extrazug mit Fussballfans zerbrachen.“

Kein gutes Zeugnis für die KKJPD

Vergangene Woche veröffentlichte das Bundesgericht sein Urteil zur Beschwerde gegen die Verschärfungen des Hooligan-Konkordats. Zwei Punkte sind verfassungswidrig, bei vielen anderen Punkten gibt es interessante Erwägungen, die die Auslegung des Konkordats beeinflussen, vor allem aber wohl von Fans und Anwälten in kommenden Gerichtsverfahren aufgeführt werden müssen.

Einen Kommentar zum Urteil durfte ich für Saiten verfassen. Mein Fazit dort:

„Fakt ist aber auch, dass der direkte Eingriff des Bundesgerichts in den Konkordatstext der KKJPD kein gutes Zeugnis ausstellt. Es bleibt zu hoffen, dass das Urteil zu einer verhältnismässigeren Anwendung des Konkordats führt, damit Fälle wie die jüngste Testspielabsage wegen unerklärlicher Auflagen verhindert werden können und Fussballfans sich ihr Recht nicht immer wieder vor Gericht erkämpfen müssen.“

Das Urteil ebenfalls kommentiert hat Michael Rockenbach in der TagesWoche:

„In den nächsten Monaten müssen die Konkordats-Kantone nun das Gegenteil beweisen: dass sie ihre Versprechen künftig halten und die Stadiongänger nicht länger mit unnötigen oder übertriebenen Massnahmen schikanieren.“

„Mit seinem Urteil hat das Bundesgericht der Staatsmacht deutlich die Grenzen aufgezeigt.“

„Mehr kann man von der abstrakten Normenkontrolle auch gar nicht erwarten, bei der die Verfassungsmässigkeit von kantonalen Erlassen überprüft wird.“

Ganz aktuell und wohl nur sehr am Rande von diesem Urteil beeinflusst, hat nun auch das Parlament des Kantons Basellandschaft die Verschärfungen des Konkordats bachab geschickt. Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer, aber zumindest ist es in Sachen Hooligan-Konkordat nicht mehr tiefster Winter.

Basel tickt anders

Während in der ganzen Schweiz die Verschärfungen des “Hooligan-Konkordats” mit überwältigenden Mehrheiten – sowohl in den Parlamenten als auch in Volksabstimmungen – angenommen werden, ist in Basel-Land und vor allem in Basel-Stadt der Widerstand gross. Heute hat die Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission (JSSK) des Grossen Rats des Kantons Basel-Stadt die Verschärfungen abgelehnt.

Die Kommission lehnte die Verschärfungen nicht wegen eines Zufallentscheides ab. Auch nicht, weil sachfremde Überlegungen reingespielt hätten. In Basel-Stadt scheint man ganz einfach einen anderen Zugang zum Thema zu haben, trotz – oder gerade wegen – der grossen Bedeutung des FC Basel. Davon zeugt die heute veröffentlichte Medienmitteilung der Kommission. Einige Auszüge aus diesem Communiqué, das wohl die Fussballfans in allen anderen Kantonen neidisch machen dürfte:

„Mit ihrer Empfehlung an den Grossen Rat will sie ein positives Zeichen gegen die weitgehenden Verschärfungen … und für die konsensorientierte Fanpolitik setzen.“

„Die Mehrheit der JSSK erachtet die vagen Formulierungen der Bestimmungen, mit welchen den rechtsanwendenden Behörden ein zu grosser Ermessensspielraum eingeräumt wird, generell für problematisch.“

„Das regierungsrätliche Argument des einheitlichen Rechtsrahmens erweist sich zudem in den meisten Punkten als illusorisch, weil sich bei einem derart breiten Ermessensspielraum ohnehin in jedem Kanton eine andere Praxis herausbilden wird.“

„Gewisse Massnahmen wie das verlängerte Rayonverbot und die Meldeauflage erachtet eine Mehrheit der JSSK für rechtstaatlich fragwürdig oder in der Praxis gar nicht umsetzbar. Zusätzlich besteht die Befürchtung, dass ein Beitritt zum revidierten Konkordat zu erneuten Eskalationen auf Seiten der Fans führe, weil deren Anstrengungen nicht honoriert werden. Der ungünstigen Dynamik zwischen Fans und polizeilichen Behörden müsse deshalb mit einem klaren Signal Einhalt geboten werden.“

Schade, dass es nur in Basel zu solch klaren Worten kommt. Schade, dass nur in Basel klar kommuniziert wird, dass “ein klarer Nachweis für eine Tendenz der Zunahme der Gewalt” fehlt, ja dass sogar eine abnehmende Tendenz beobachtet werden kann.

Panikmache vs. Realität

Unter diesem Titel habe ich im Dezember 2012 und im Juni dieses Jahres schon gebloggt. Nun erscheint eine weitere Statistik, die belegt, dass Fussballspiele die Schweizer Bevölkerung offenbar doch nicht vor Angst erstarern lassen.

Die Swiss Football League informiert heute über eine Analyse der European Professional Football League. In dieser wurde der Zuschauerwachstum der letzten fünf Jahre untersucht. Abgesehen von Polen und der Ukraine ist in keinem Land der Zuschauerschnitt derart stark gewachsen wie in der Schweiz. Satte 6.6% beträgt das Wachstum in der Fünf-Jahres-Tendenz. Natürlich: Auch die Schweiz konnte – wie das ebenso für die Spitzenreiter Polen und Ukraine gilt – von neuen Stadien profitieren. Verbesserter Komfort ist offenbar für einige Matchbesucherinnen und -besucher ein wichtiger Aspekt. Trotzdem zeigt die Entwicklung eines auf: Die starke mediale Inszenierung von tatsächlichen und angeblichen Problemen rund um den Schweizer Fussball (und auch deren Überzeichnung) hindert die Bevölkerung nicht daran, Fussballspiele zu besuchen.

Das Fazit bleibt, wie es in den erwähnten beiden Posts schon Bestand hatte:

„Diejenigen, die kaum je ein Stadion von innen gesehen haben, wollen uns weismachen, wie gefährlich es rund um den Fussball ist.“

Panikmache vs. Realität

Vor etwa einem halben Jahr habe ich hier einen Beitrag mit dem gleichen Titel veröffentlicht. Die Schweizerische Fussball-Liga hatte damals die Zuschauerzahlen des ersten halben Jahrs veröffentlicht. Einmal mehr wurden Rekorde aufgestellt, obwohls in Schweizer Stadien ja offenbar so gefährlich sein muss, wie man immer wieder hört (insbesondere, wenn es um das Hooligan-Konkordat geht).

Ein halbes Jahr später ist die Saison 2012/2013 abgeschlossen. Die Zuschauerzahlen über die ganze Saison sind einmal mehr hervorragend. Es kamen nochmal 178’299 ZuschauerInnen mehr zu den Spielen der höchsten Liga. Der nächste Rekord. Der Blick rechnet vor, dass die Schweiz mit den gesamthaft rund 2.1 Mio. ZuschauerInnen gemessen an der Einwohnerzahl sogar europäische Spitze ist. Und trotzdem beschwören Medien und PolitikerInnen immer wieder die „kriegsähnlichen Zustände“ in Schweizer Stadien, wie Pascal Claude in seinem Blog richtig festgestellt hat.

Das Fazit bleibt leider das gleiche wie vor einem halben Jahr:

Diejenigen, die kaum je ein Stadion von innen gesehen haben, wollen uns weismachen, wie gefährlich es rund um den Fussball ist. Leider verfängt diese Stimmungsmache bei den Medien und dementsprechend bei vielen Bürgerinnen und Bürgern. Dass dies nur dazu führt, dass sich Fanszenen in einer Abwehrhaltung verschanzen, die letztlich für alle Seiten kontraproduktiv ist, will man nicht wahrhaben.

Das nennt ihr Problemlösung?

Der St.Galler Kantonsrat hat gestern die Verschärfung des Hooligan-Konkordats angenommen. Das war leider zu erwarten. Trotzdem ist es nur schwer verständlich.

Nach ersten Informationen haben sich 92 Kantonsrätinnen und Kantonsräte für die Verschärfung ausgesprochen. Acht (7x SP, 1x glp 5x SP, 1x Grüne, 1x glp, 1x FDP) waren dagegen. Das heisst also, für 92 Kantonsrätinnen und Kantonsräte ist es okay, dass…

…zwischen geringfügigen Delikten wie Hinderung einer Amtshandlung und gröberen Delikten wie schwere Körperverletzung kein Unterschied gemacht wird.
…der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ umgekehrt wird. Ein Fan muss beweisen, dass er unschuldig ist.
…Einsprachen keine aufschiebenden Wirkungen haben.
…als Nachweis gewalttätigen Verhaltens bereits eine Aussage eines privaten Sicherheitsmitarbeiters reicht.
…sämtliche Spiele sämtlicher Ligen sämtlicher Sportarten prinzipiell bewilligungspflichtig erklärt werden können.
…private Sicherheitsdienste auch den Intimbereich abtasten dürfen.
…bereits 13-Jährige wegen geringfügiger Delikte jedes Wochenende auf dem Polizeiposten antraben müssen, um ihre Abwesenheit vom Stadion zu beweisen.

Man könnte weitere Punkte anhängen. Einige davon finden sich auch in einem Artikel, den ich für das Politimagazin der SP St.Gallen geschrieben habe. Dieser ist auch hier zu finden. Man braucht nur einige Jahre als Fussballfan verbracht zu haben, um die Probleme zu sehen, die unweigerlich entstehen werden. Ich möchte dies anhand eines Beispiels illustrieren:

Ein Polizist beschuldigt einen Fan, eine Amtshandlung behindert zu haben. Der Fan wird angezeigt. Bevor er sich im Rahmen dieses Strafverfahrens dazu äussern kann, erhält der Fan ein Stadionverbot und ein Rayonverbot, beides für zwei Jahre. Nach einigen Wochen wird der Fan freigesprochen. Doch der Polizist, der den Fan ursprünglich angezeigt hatte, zieht den Fall weiter. Deshalb wird auch weder das Stadion- noch das Rayonverbot aufgehoben. Auch in zweiter Instanz wird der Fan freigesprochen. Er versucht wieder, sein Stadion- und sein Rayonverbot aufzulösen. Gezwungen ist dazu aber niemand. Die Anzeige, die er ganz zu Beginn erhalten hatte, ist gemäss Konkordat ein Nachweis für gewalttätiges Verhalten. Im besten Fall hat er also einfach bis zum Abschluss des Strafverfahrens keinen Fussballmatch mehr gesehen, unschuldig. Auch das kann Monate, wenn nicht Jahre dauern. Im schlimmsten Fall interessierts aber sowieso niemanden, dass er einen offiziellen Freispruch erlangt hat. Der Fan sieht die vollen zwei Jahre kein Spiel, unschuldig. Wer nun denkt, dieses Beispiel sei gesucht, der irrt. Solche Fälle existieren.

Und auch die Bewiligungspflicht ist nicht durchacht. Gerade das Spiel SC Brühl – FC Aarau hat gezeigt, wozu es führen kann, wenn die Polizei Auflagen stellen kann, wie es ihr beliebt. Warum die Polizei ihre Auflagen so stellt, bleibt ihr Geheimnis. Offenbar kann man bei der Stadtpolizei in Alternativrealitäten Einblick nehmen. Anders lässt sich die Aussage von Polizeikommandant Pius Valier im Tagblatt nicht erklären, dass es trotz 30 FCSG-Fans vor Ort ruhig blieb. Offenbar weiss die Polizei, dass diese 30 FCSG-Fans ohne Polizei für Radau gesorgt hätten. Warum soll ein FCSG-Fan auch Interesse an einem Fussballspiel eines direkten Kontrahenten haben?

Mit der Konkordatsverschärfung hat man nun einen Freipass für alle Repressionsfanatiker geschaffen. Bewilligt wird das, was die Polizei bewilligt haben will. Und so, wies die Polizei haben will. Ohne Mitsprache. Aber mit Bezahlung. Natürlich wird die Polizei da immer am oberen Ende der Skala sein. So einfach kann man sein Budget sonst kaum rechtfertigen. Schnell ein paar Polizisten bei völlig ungefährlichen Spielen wie Brühl – Locarno in Vollmontur auflaufen lassen, schon kann man sich über die Überstunden beschweren und eine Aufstockung fordern. Was die Politik da verbockt hat, wird dem einen oder anderen Kantonsrat wohl erst bewusst, wenn sein eigener Amateurklub auf einmal Sicherheitskräfte anstellen muss. Die er selbst bezahlt.

Zum Schluss: Das grösste Problem an dieser Verschärfung ist, dass die engagierten Kräfte in der Fanszene erneut vor den Kopf gestossen werden. Die Motivation, sich für etwas einzusetzen, schwindet, wenn man doch nur als Sicherheitsrisiko behandelt wird. Diese Kräfte werden sich irgendwann abwenden, die Szene radikalisiert sich. Ob die 92 Kantonsrätinnen und Kantonsräte, die der Verschärfung zugestimmt haben, daran gedacht haben?

Update (26. April, 09.00 Uhr): Im heutigen Tagblatt ist ein Artikel zu finden über Pyro in unteren Ligen. Darin steht unter anderem: „Das würde dem in Deutschland und England bekannten Phänomen entsprechen, dass Fans aufgrund der zunehmenden Repression in den grossen Stadien vermehrt in tieferen Ligen bei kleineren Clubs zünden.“ Diese Verlagerung steht symbolisch für weitere, die in den nächsten Jahren folgen werden. In der Botschaft zur Konkordatsverschärfung wird das abgestritten…

Update (18. April, 13.00 Uhr): Jetzt ist das genaue Abstimmungsresultat online. Nicht zugestimmt haben der Konkordatsverschärfung:

  • Blumer Ruedi, Gossau, SP
  • Friedl Claudia, St.Gallen, SP
  • Haag Agnes, St.Gallen, SP
  • Hartmann Peter, Flawil, SP
  • Huber Maria, Rorschach, SP
  • Ilg Karin, St.Gallen, glp
  • Mächler Franz, Wil, FDP
  • Wick Guido, Wil, Grüne

Dazu gabs 20 Kantonsrätinnen und Kantonsräte, die nicht abgestimmt haben. Diese sind ebenso wie die zustimmenden ParlamentarierInnen auf der verlinkten Seite zu finden.

Update (11. Juli 2012, 12:04): Die Verschärfung wurde auch in zweiter Lesung verabschiedet. Etwas weniger brutal: Die Zahlen.

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