Ein Wort nach dem anderen

Schlagwort: England

Früher war alles besser (II)

There are reports of Preston fans knocking railway officials unconscious at Wigan station in 1881, being involved in an attack against Bolton Wanderers players and supporters at the end of a game in 1884 and as the instigators of a massive fight with Queen’s Park (Glasgow) fans in 1886.“ (Jim Keoghan – Punk Football)

Football is the game!

Teure Tickets, keine Stimmung, langweiliger Kick and Rush: Der englische Fussball geniesst unter Fans und insbesondere bei den weitgereisten unter ihnen nicht den besten Ruf. Doch es tut sich was im Mutterland der schönsten Hauptsache der Welt. Ein optimistischer Ausblick nach einer Woche England.

Seit ich vor über zehn Jahren für drei Monate die südenglische Küstenstadt Brighton mein Zuhause nennen durfte, ist die Insel für mich zu einer zweiten Heimat geworden. Kaum irgendwo fühle ich mich so wohl wie nördlich des Ärmelkanals. Wenn ich nach Verlassen des Flugzeugs erstmals dieses britische Englisch höre, geht mir das Herz auf. Und wenns nur ein „Oi!“ ist – dieses Zwei-Buchstaben-Wort, bei dem die Tonlage verrät, ob dahinter ein gedachtes „you bloody wanker“ oder ein „you lost your wallet“ steht. Ja, ich würde wohl selbst nach England reisen, wenns dort keinen Fussball gäbe. Und trotzdem ist Fussball elementarer Bestandteil jeder England-Reise. Auch dieses Mal. Drei Spiele, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, standen auf dem Programm.

What a beauty it is!
Nach wie vor würde ich mich nicht als klassischen Groundhopper bezeichnen. Trotzdem kann ich die Auswahl des Spiels schon mal von einem besonderen Stadion abhängig machen. Erst recht, wenn über einem solchen das Damoklesschwert eines möglichen Umbaus oder – noch schlimmer – eines Abbruchs schwebt.

Craven Cottage Haupttribüne

Das Craven Cottage, die Heimstätte des Londoner Fulham FC, stand daher schon lange auf meiner imaginären „Da-muss-ich-unbedingt-mal-hin“-Liste. Und, wie sich zeigte, hatte es diesen Platz so verdient wie kaum ein anderes. Die Haupttribüne alleine hätte schon gereicht. Ein zum Spielfeld hin abfallendes Dach, typisch englisch, verziert mit dem Klubnamen. Rechts daneben (im Bild leider nicht ersichtlich) die namensgebende ehemalige Jagdhütte, die heute als VIP-Bereich genutzt wird. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt unmittelbar hinter dem Riverside Stand die Themse. Während ich mir in der Halbzeit „a pint and a pie“ gönne, glitzert von hinten der Fluss ins Stadion.

Halftime pint and a pie

In der zweiten Halbzeit laufen sich mehrere Spieler beider Mannschaften warm. Und hier wird deutlich, wie eng das Stadion selbst für englische Verhältnisse ist. Die Ersatzspieler haben so wenig Platz zur Verfügung, dass sie jeden Spielunterbruch für einen kurzen Sprint auf dem Spielfeld nutzen. Der Blog „Fussball, Schatz“ hat das Craven Cottage wenige Tage vor mir besucht und es gleich zum „schönsten Stadion der Welt“ erklärt. Leseempfehlung! So schön beschreibt kaum jemand ein Stadion.

Das Spiel selbst? Nun gut, dafür hätte man nicht extra herkommen müssen. Sowohl Fulham als auch die Gäste aus Rotherham steckten im Abstiegssumpf in der zweiten englischen Liga, der Championship. Rotherham tut das immer noch, mittlerweile zwei Runden vor Saisonende. Das 1-1 nach 90 Minuten schmeichelte noch eher den Hausherren. Die Gäste brachten dafür die gesangsfreudigere Anhängerschaft ins Stadion.

„Hoop, there he is“
Mit der Fahrt nach Norwich gings sowohl geographisch als auch in der Tabelle der Championship gen Norden. Die Gastgeber Norwich City FC trafen auf den Middlesbrough FC. Spitzenkampf. Wer heute gewinnt, ist zumindest über Nacht Tabellenführer. Das Spiel ist denn auch bedeutend besser. Die Gäste gehen früh in Führung, was die Hausherren zu kontinuierlichem Anrennen und die Gäste zu kontinuierlichem Darniederliegen veranlasst. Mein Sitznachbar kriegt sich wiederholt kaum noch ein, weil gefühlt jeder Norwich-Spieler zwischenzeitlich so schwer verletzt zu sein vorgibt, dass man mindestens von einem offenen Bruch ausgehen muss. Wobei, Sitznachbar ist eigentlich das falsche Wort. Ich habe noch kein Stadion erlebt, in dem die Sitze so eng aneinander gereiht sind wie in der Carrow Road. Es wirkt ein wenig wie Reise nach Jerusalem, irgendwo muss ein Stuhl fehlen. Musik ab Band gibts vor dem Spiel und in der Pause ebenfalls zur Genüge. Noch dazu in einer Lautstärke, die beinahe unerträglich ist. Die Fans auf den Rängen nehmen sich das zum Vorbild und sind ihrerseits während der Partie konstant laut. Die Gästefans – einige der wenigen Anhängerschaften in England, die mit den „Ultras Boro“ explizit auf die Ultrakultur Bezug nehmen – sind ebenso gut aufgelegt wie die Heimfans. Letztere intonieren bei der Einwechslung von Gary Hooper den Tag Team-Klassiker „Whoomp! There it is“, leicht abgeändert zu „Hoop, there he is“. Zu jubeln haben erstere jedoch mehr, da der frühe Führungstreffer ausreicht: „We’re Middlesbrough, we’re top of the league“!

Carrow Road

„It’s ours!“
Zurück in London steht der heimliche Leckerbissen auf dem Programm. In der vierthöchsten Liga, der League Two, stehen sich der AFC Wimbledon und die Wycombe Wanderers gegenüber. Eine Affiche, die aus zwei Gründen von Interesse ist. Zum einen markierte dieses Spiel den Abschluss der „Supporter Ownership Week“. Unter der Schirmherrschaft von Supporters Direct wurden über die ganze Woche jene Vereine ins Rampenlicht gestellt, die sich in den Händen der Fans befinden. Beide Teams tragen daher zum Einlaufen spezielle T-Shirts. Und wo sollte der Abschluss dieser Woche sonst abgehalten werden, wenn nicht hier. Sowohl die Wanderers aus Wycombe – das so komisch ausgesprochen wird, dass es eher nach Wiggum klingt – als auch der AFC Wimbledon sind in den Händen von Supporters Trusts. Dem einst ruhmreichen Wimbledon FC wurde 2002 erlaubt, nach Milton Keynes umzuziehen. Der nun MK Dons getaufte Verein hatte für die Fans nichts mehr mit ihrem Verein zu tun. Sie gründeten ihn als AFC Wimbledon neu. Langsam kämpfte sich der neue Klub, der mittlerweile von nahezu ganz Fussball-England als der alte angesehen wird, empor und stiess mittlerweile bis in die League Two vor. Damit ist Wimbledon wieder auf der Landkarte des League Footballs vertreten. Noch immer gehört der Verein den Fans und wenn alles glatt läuft, ist man auch bald zurück in Wimbledon. Zurzeit trägt der Verein seine Heimspiele in Kingston im Kingsmeadow Stadion aus.

Supporter Ownership Week

Ein Spiel des AFC Wimbledon ist aber nicht nur wegen der Geschichte des Vereins einen Besuch wert. Es fühlt sich an wie Amateurfussball. Wer mich kennt, weiss, dass das positiv gemeint ist. Der Spielereingang ist gleichzeitig der Zugang zur Tribüne. Der Sprinkler kommt hier nicht automatisch aus dem Boden, er wird händisch verschoben, um den ganzen Platz zu bewässern. Links von mir ist sich ein nicht mehr ganz so nüchterner Wimbledon Fan sicher, dass er das Spiel mit Zwischenrufen beeinflussen kann: „Ref! Ref! You’re rubbish!“ – „Goalie! Goalie! You’re rubbish!“ – „Number Four! Number Four! You’re rubbish!“ Und ja, er hat „rubbish“ gesagt. Bei Wimbledon ist man nicht nur auffallend nett, sondern auch ausfallend nett. Rechts von mir sitzt einer dieser älteren Zuschauer, der die besten Tipps zu haben meint: „Keep possession!“ Nun ja, da wäre sicher niemand selbst drauf gekommen. Es gibt aber doch einen Unterschied zum Amateurfussball. Das Spiel hier findet vor über 4‘500 Zuschauern statt. Und einem Maskottchen. Der berühmt-berüchtigte Haydon versucht der Menge einzuheizen. Dazu zieht er auch schon mal einen Mülleimer ums Feld, damit er darauf trommeln kann. Oder versucht sich im Crowdsurfen. Apropos trommeln: Die mehreren hundert Gäste aus Wycombe, die sich unter dem wohl niedrigsten Tribünendach der Welt zusammenstellen, haben eine Pauke im Gepäck und bringen einen Rhythmus ins Stadion, der in England vermutlich weitestgehend fremd ist.

Gästefans im Kingsmeadow

Twenty is plenty
Drei Spiele, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein grossartiges Stadion, ein Spiel mit guter Stimmung und ein Spiel zweier erfolgreich von Fans geführter Vereine. Wenn ich das alles zusammen nehme, blicke ich durchaus optimistisch in die Zukunft. England hat die Stadien, England hat die Stimmung, England hat die Modelle. Jetzt müssen sie es nur noch schaffen, diese Elemente zusammenzubringen. Viel zu oft findet man nur eines davon bei einem Spiel. Wenn das gelingt, bleibt eigentlich nur noch ein Hindernis auf dem Weg auszuräumen: Die Ticketpreise. Aber auch hier tut sich was. Mit Slogans wie „Twenty is plenty“ protestieren immer mehr Fans gegen die horrenden Ticketpreise. Teilweise mit Erfolg. Vor zwei Tagen hat mit West Ham United ein populärer Klub eine Senkung der Saisonabo-Preise verkündet. Und wem das alles nicht genügt, um wenigstens ein bisschen optimistisch in die Zukunft zu blicken, dem sei das folgende Video ans Herz gelegt. Es zeigt den Aufstieg des FC United of Manchesters am vergangenen Montag. Ebenfalls ein von Fans geführter Verein, der demnächst in sein eigenes, neu errichtetes Stadion ziehen wird. Dort werden sie, davon bin ich überzeugt, die letzten zwei Ligen zur Rückkehr in den League Football ebenfalls noch überwinden.

Wenn eine Stadt zu normal ist…

Es gibt Städte, die sind bekannt für ihre Schönheit. Andere sind für ihre Ausgangsmöglichkeiten beliebt. Wieder andere haben eine Vergangenheit, die an der Historie Interessierte anlockt. Und dann gibt es Ortschaften, in die eigentlich niemand will und die genau deshalb spannend sind. Das englische Oldham sollte eine solche Stadt sein.

Seit neuestem ist Oldham von Manchester mit einem Tram zu erreichen. Der Ort in der Agglomeration, der einen Bahnhof mit dem Namen Mumps ihr Eigen nennen darf, ist trotz ihrer Nähe zu einer der bekanntesten Städte Englands kaum jemandem bekannt. Wer sich dennoch als Tourist dahin aufmacht, muss sich entweder in der Hotelauswahl vertan haben – das einzige Hotel des Ortes, das mit Dreier-Zimmern aufwartet, wirbt zum Beispiel mit einem Blick auf die Skyline Manchesters – oder er hat vor Jahren über die bemerkenswerte Präsenz des Ortes in der englischen Doku-Soap „Cops with Cameras“ von der Stadt erfahren. Was für eine Stadt muss das wohl sein, in der zur Mittagszeit Betrunkene in Hauseingängen geweckt werden müssen? In der sich die Polizei immer wieder Verfolgungsjagden liefert? Die in Online-Bewertungen mit „Oldham is like having a Wee. When its happening you think ‘yeah this is great,’ but then when you look down, you see Wee on your shoes.“ beschrieben wird? Aus der ein junger Erwachsener im Vollsuff einen Flug nach Paris gebucht hat, davon aber erst am nächsten Morgen in einer Pariser Flughafen-Toilette erfahren hat? Nun, wer nicht hingeht, findets nicht raus. Zeit für einen Ortstermin.

Die Anreise gestaltet sich unkompliziert. Vom Flughafen Manchester direkt per Bus, von der Stadt Manchester direkt per Tram ins Zentrum von Oldham. Der erste Eindruck: Enttäuschend. Das Busterminal sieht ganz normal aus, das Hotel ist für die praktisch geschenkten £10 pro Person sehr ordentlich und auch die Einwohner machen einen ganz gewöhnlichen Eindruck. Vielleicht tummeln sich die Einwohner, die den Ort bekannt gemacht haben, ja beim Fussball? Auch Fehlanzeige. Die Stadionbesucher sind wie mittlerweile fast überall in England gesittet. In der Halbzeitpause werden an der Bar Frizzell gar vorbestelle Biere ohne Kontrolle einfach bereit gestellt. Auch geklaut wird hier nicht. Wenn es hier etwas Bemerkenswertes gibt, dann ist das die fehlende Tribüne auf der einen Längsseite des Stadions. Nun gut, dann muss die Stadt wohl abends erwachen. Schliesslich ist es Samstagabend und in der Ausgangsstrasse reiht sich ein Pub ans andere, unterbrochen nur von unzähligen Imbissständen, die auf so einfallsreiche Namen hören wie Florida Fried Chicken, New York Fried Chicken, Kansas Fried Chicken. Unzählige weitere Lokale scheinen Hühnerspezialitäten anzupreisen. Nur sind sie alle leer. Genauso wie die Pubs. Oldham scheint am Samstagabend wie ausgestorben. An den Preisen kanns nicht liegen. Das Pint Ale kostet sogar für englische Verhältnisse wenig.

Was bleibt nach diesem Ausflug? Entweder hat Oldham in den letzten Jahren eine Gentrifizierung erlebt, die alteingesessene Einwohner vertrieben hat, ohne die nach Manchester pendelnde Mittelklasse anzuziehen. Oder die Berichte über die Zustände im Ort waren von Beginn weg überzeichnet. So oder so: Von einem Besuch kann man gut absehen.

(Remo war auf dieser Reise auch dabei. Seinen Bericht gibts hier.)

Warum man Fussball einfach lieben muss: Halbfinale im Aufstiegsplayoff der zweithöchsten englischen Liga | Leicester erhält in der Nachspielzeit einen Elfmeter; Verwerten sie, stehen sie im Finale | Der Torhüter von Watford hält den Elfmeter und den Nachschuss | Watford geht direkt zum Konter über, schiesst ein Tor und damit steht Watford im Finale

Aufstiegsplayoff in England

Spiele zwischen Brighton & Hove Albion und Crystal Palace sind immer etwas aufgeladener als sonstige Begegnungen. Die Stadien der beiden Teams liegen nur gerade etwa 70km auseinander, mit dem Zug benötigt man für die Strecke weniger als eine Stunde. Vor allem aber haben brisante Spiele in der Vergangenheit zum Derby-Charakter dieser Paarung beigetragen.

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Wenn es dann – wie in dieser Saison – im Halbfinal der Playoffs um den Aufstieg in die Premier League zu eben dieser Begegnung kommt, gewinnt das Spiel nochmal an Brisanz. Das führt dazu, dass man selbst mit der non-verbalen Kommunikation zwischen Heim- und Gästefans ganze Bücher füllen könnte. Besonders interessant zu beobachten, sind dabei die Vater/Sohn-Duette, bei denen die Zähne beider höchstens für ein ganzes Gebiss reichen. Im Gegensatz zu vielen anderen Spielen in England ist bei Crystal Palace aber auch immer echte Stimmung garantiert. Zwar ist die Liederauswahl nicht sonderlich spektakulär, die Lautstärke dafür aber umso mehr. Von der Heimseite kann man das leider nicht behaupten. Zwar werden auch die Seagulls ab und an laut, aber das beschränkt sich auf ein paar Mal „AAAAAAAAAALBIOOOOON“. Es ist aber auch nicht einfach, sich als Fans zu organisieren, wenn der Verein offenbar nicht viel Wert darauf legt. Im Matchprogramm bei einem früheren Heimspiel der Seagulls liess sich ein Vorstandsmitglied über mehrere Seiten darüber aus, dass dieses permanente Stehen nicht akzeptabel sei. Schwierig zu verstehen, wenn die Gästefans immer stehen dürfen. 

Und wohl auch darum organisiert hier der Verein die Choreo zum Spielbeginn. Auf jedem Sitz war ein blauer oder weisser Karton bereit gelegt. Dieser konnte, in zusammengefalteter Form, auch als Klatsch-„Instrument“ benützt werden. Die Tonkulisse war danach ähnlich mühsam wie an der WM in Südafrika. Worauf die Palace-Fans mit einem „We’re Crystal Palace. We clap with our hands“ antworteten. Im Süden Londons scheint man sowieso relativ schnell mit passenden Texten bereit zu stehen. Beim letzten Aufeinandertreffen der beiden Teams provozierte auf der neben dem Gästesektor liegenden Gerade ein Heimfan praktisch 90 Minuten lang die Gästefans. Als er nach einem Tor von einem Freund umarmt wurde, änderten die Palace-Fans das bekannte „He’s just too good for you“, wenn ein Spieler besungen wird, in „He’s just too good to you“.

Man merkts diesen Zeilen an, Crystal Palace ist einer der wenigen Klubs in England, bei dems wirklich noch Stimmung gibt. Die ist zwar anders als in südlichen Ländern, aber trotzdem gut. Englische Atmosphäre eben, wie es sie vor Jahren noch auf der ganzen Insel gegeben hat. Hoffentlich ist das nicht nur ein Blick in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft.

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