Die SBB befördert Menschen von A nach B. Sie tut das, weil es ihr Geschäft ist. Sie tut das aber auch, weil sie es muss. Bis jetzt ist die SBB verpflichtet, Personen zu befördern. Das ist der SBB offensichtlich ein Dorn im Auge. Um Stimmung gegen die Transportpflicht zu machen, schiesst sie sich auf Fussballfans ein. Die WOZ durchleuchtet die Praxis der SBB, zu diesem Zweck Schadenssummen kreativer zu kommunizieren.

Pascal Claude hatte Einsicht in ein internes SBB-Papier. Im WOZ-Artikel „Der Schaden ist angedichtet“ – nebenbei: ein grossartiger Titel! – zeigt er auf, wie aus einer Viertelmillion ganz schnell drei Millionen werden. Es sind nämlich keine drei Millionen Sachschaden, die Fussballfans in Extrazügen anrichten. Auch wenn die SBB das gerne so kommuniziert. Es sind gerade mal Fr. 225’503.65, die im SBB-Papier der Saison 2009/2010 ausgewiesen werden. Natürlich, jeder Rappen davon ist zu viel. Ob der Betrag – nota bene bei über 200 Extrazügen – die Hysterie aber wirklich rechtfertigt? Wohl kaum.

Noch interessanter wird es, wenn man folgendes bedenkt: In der Saison 2009/2010 brannte ein Waggon eines Extrazugs der FCSG-Fans im Bahnhof Aarau. Bereits wenige Minuten nach dem Ereignis äusserte sich der Sprecher der Kantonspolizei Aargau: „Noch können wir nicht sagen, warum es im Zug brannte. Das wird jetzt von Experten untersucht. Aber – es war nun mal der offizielle Fan-Extra-Zug…“ Ein Polizist also, der den Rechtsstaat in der Öffentlichkeit repräsentieren sollte, setzt die Unschuldsvermutung ausser Kraft. Der selbe Sprecher wird im Nachhinein zitiert, dass die Bahnpolizei bereits in Kloten den Brand löschen musste. Dass die Fans selbst die enorme Hitze bemerkt hatten (bereits weit vor Kloten), wird nirgends erwähnt. Die Kantonspolizei Aargau veröffentlichte im Nachgang ein dürres Communiqué, der Brand sei jetzt geklärt. Ohne wirkliche Erklärung. Der Brand sei zwischen Sitz und Innenwand entstanden. In Wirklichkeit haben sich Fans und Bahnpolizei aber gemeinsam auf die Suche nach der Hitzequelle in der Wand – also zwischen Innen- und Aussenwand – gemacht. Die SBB hat den Fall schon gar nicht untersucht (oder zumindest keine Resultate veröffentlicht). Den Fans kann mans ja sowieso unterschieben. Rechnet man diesen Vorfall weg, bleibt von den gut Fr. 225’000.- wohl nicht mehr viel übrig.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses durchsichtige Spiel der SBB von den ParlamentarierInnen nicht mitgespielt wird, wenn die Transportpflicht diskutiert wird.

UPDATE: Am Samstagmorgen hat sich der Pressesprecher der SBB (Christian Ginsig) über Twitter eingeschaltet:

Nun ja, das mag sein. Wenn man sich beispielsweise diesen Beitrag ansieht, spricht die SBB tatsächlich von ungedeckten Kosten. Nur: Der Pressesprecher wird in den Printmedien auch anders zitiert. Zum Beispiel hier oder hier. Auch wenn die Medien natürlich immer etwas verfälschen möchten könnten: Wenn ein wörtliches Zitat nicht stimmt, hätte die SBB intervenieren können, ja müssen! Es muss daher davon ausgegangen werden, dass auch die SBB „ungedeckte Kosten“ und „Schaden“ von Zeit zu Zeit durcheinander gebracht hat. Offen bleibt, was die SBB zum Brand in Aarau sagt. Die Frage ging auf Twitter an den Mediensprecher raus. Eine Antwort wird natürlich hier publiziert.

(Eine Notiz am Rande: Im verlinkten Beitrag von 10vor10 bezeichnet der SBB-Pressesprecher Bahnhöfe und Züge als öffentlichen Raum. Wenns dann aber um politische Werbung auf einem Bahnhofsareal geht, werden Bahnhöfe ganz schnell wieder privat. Der Tagi dazu: „Ihrer Ansicht nach handelt es sich beim Bahnhofareal laut Ginsig um privaten und nicht um öffentlichen Raum.“)

UPDATE II: Auch Pascal Claude ist der Meinung, dass die SBB wohl ganz zufrieden ist, wenn in den Medien von 3 Millionen „Sachschaden“ und nicht von „ungedeckten Kosten“ die Rede ist. Im Beitrag auf knappdaneben.net erklärt er, warum die Ausreden der SBB nichts taugen. Und warum die SBB mit dieser Auslegung der Zahlen nicht nur die Fans vor den Kopf stösst.

Der Pressesprecher der SBB weicht indes auf Twitter Fragen zum Brand in Aarau aus, indem er auf das dürre Communiqué der Kapo Aargau verweist (siehe oben). Auf meinen Kommentar, dass es einen Unterschied mache, obs ein Defekt war oder nicht, folgt folgende Reaktion:

 

Die Masche ist bekannt. Man verweist auf einzelne Zwischenfälle und rechtfertigt damit jegliches Vorgehen. Die Antwort zeugt nicht von Grösse. Für die SBB sind die Fans wohl immer schuld. Egal, was passiert. Auf ein erneutes Nachhaken bleibt der Twitter-Account von Christian Ginsig stumm. Die ganze Konversation ist hier nachzulesen (wird aktualisiert).

UPDATE III: Pascal Claude greift die Geschichte in seinem Blog ebenfalls nochmal auf.

UPDATE IV: Drei Tage später meldet sich der SBB-Sprecher über Twitter mit einem Artikel der Basellandschaftlichen Zeitung und bittet, diesen Artikel im Blog auch zu beleuchten. Mir ist nicht ganz klar, inwiefern der Artikel zur Verteidigung der SBB beiträgt. Ich komme dem Wunsch nach Berücksichtigung aber gerne nach.

Beim internen Papier handle es sich um ein Dokument mit wenig Aussagekraft. Es enthalte buchhalterische Werte und es würden sowieso nicht alle Schäden berücksichtigt. Warum diese Ausrede der SBB nicht funktioniert, zeigt Pascal Claude in seinem Blogbeitrag auf: „Wie wissen die SBB, wie viele ungedeckte Kosten anfallen, wenn tatsächlich nicht alle Kosten erfasst werden?“ 

Der von Ginsig ins Spiel gebrachte Artikel zeigt zudem auf, dass Sachbeschädigungen in Extrazügen gar kein Thema sind. Ja, es geht dort nicht zu und her wie in einem Regelzug. Aber genau darum gibts die Extrazüge ja. Natürlich, die Sauberkeit lässt manchmal zu wünschen übrig. Dass die Fans aber auf eigene Kosten Abfallsäcke in den Waggons verteilen, verschweigt die SBB natürlich auch. Die SBB täte gut daran, ihre Kommunikation der Realität anzupassen. Es ist nämlich allen bewusst, die sich in irgendeiner Form für den Fussball und die Fanszene einsetzen, dass es Probleme gibt, die zu lösen sind. Daran wird auch gearbeitet. Wenn die SBB aber eben diese Leute immer wieder vor den Kopf stösst, indem sie masslos übertreibt, wird sie nichts erreichen. Im Gegenteil.